Die neuen blauen Uniformen findet Egon Sturm ganz schmuck. Der Leiter der Polizeiinspektion Mellrichstadt hat schon eine Jacke anprobiert, aber er wird sie nicht mehr im Alltag tragen. Am 30. November nimmt der 60-Jährige Abschied – nach fast 42 Jahren als Polizist, zehn davon in Mellrichstadt. Er hinterlässt deutliche Spuren.
Das Strafgesetzbuch und zwei Ordner – mehr steht nicht auf Egon Sturms Schreibtisch. Ist schon alles vor dem Ruhestand abgearbeitet? Mitnichten. Doch heute spielen sich auch bei der Polizei viele Dinge im Computer und online ab, so Sturm.
Seit 1. November 2004 leitet der Wegfurter die Inspektion Mellrichstadt. Viele Dienstpläne hat er geschrieben, hat Vorgänge bearbeitet und überwacht. Ein Dienststellenleiter leitet die Kollegen an, koordiniert das betriebliche Miteinander. Und er repräsentiert die Polizei nach außen.
Egon Sturm weiß grundsätzlich, was seine Leute tun. Auch wenn er selten selbst mit zum Einsatz fährt. „Die zehn Jahre in Mellrichstadt waren abwechslungsreich, auch wenn es kaum spektakuläre Kapitalverbrechen gegeben hat. Es war angenehm, hier Dienst zu tun“, sagt er. Damit meint er nicht, dass es keine Unfälle oder Einbrüche gegeben hat. Aber natürlich nicht in dem Maß wie in den Ballungsräumen.
Dafür bescheinigt der 60-Jährige den Bewohnern von Mellrichstadt, Ostheim, Fladungen und den umliegenden Dörfern, dass sie „ein rühriges Volk“ sind. „Ob Ostheimer Wurstmarkt und Oldtimerveranstaltung in Stockheim, Fladungen Classics oder die großen Faschingsumzüge – da gibt es für die Polizei immer etwas zu tun.“ Daher werde oft mit Veranstaltern und Kommunen gesprochen. Auch die Zusammenarbeit mit den Rettungsdiensten war dem Dienststellenleiter immer wichtig.
Klar, für Egon Sturm gab es auch andere, turbulentere Zeiten. 1973 fing er bei der Bereitschaftspolizei in Würzburg an. Von 1975 bis 1983 zog es ihn nach Bad Brückenau. Danach das Studium für den gehobenen Dienst in Fürstenfeldbruck, bevor Sturm als Dienstgruppenleiter in Bad Neustadt anfing. Es folgte ein relativ kurzer Einsatz – 1993 und 1994 – in Bad Königshofen.
Besonders sein Engagement in Bad Brückenau bleibt dem Wegfurter in Erinnerung. „Es war die Zeit der RAF. Wenn du auf der Rhönautobahn nachts ein Auto angehalten hast, wusstest du nie, wer drin saß.“ Auch in der Provinz habe man sich nie sicher gefühlt. Wie später bekannt wurde, betrieb die Terrorgruppe eine konspirative Wohnung in Bad Kissingen.
Der emotionale Gegenpol zu dieser angsterfüllten Zeit: die Grenzöffnung 1989. Sturm saß als Dienstgruppenleiter in Bad Neustadt zwar nicht direkt an der Grenze. Aber er erinnert sich an „die vielen Menschen an diesem Wochenende und die Trabi-Kolonnen, die am Abend wieder in Richtung Mellrichstadt abfuhren“. Das Verkehrschaos zu beherrschen, sei eine „logistische Herausforderung“ gewesen.
Der 60-Jährige nennt diese Tage eine „beeindruckende Zeit, sowohl dienstlich als auch privat“. Kaum könne er glauben, dass das schon 25 Jahre her sei. Dabei sollten die karriereprägenden Momente noch kommen. Nach den zwei Jahren in Königshofen wechselte Sturm in den Ausbildungsbereich. Er vermittelte anderen Polizisten Antistress-, Kommunikations- und Einsatzbewältigungstechniken. Die zentrale Frage: Was löst es beim Anderen aus, wenn ich ihm als Polizist gegenüberstehe?
Vier Jahre reiste Sturm durch ganz Bayern, lernte immer neue Kollegen kennen. „Das war sehr wertvoll, für mich als Polizeibeamter und als Privatmensch.“ Er selbst bescheinigt sich zwar eine gewisse Veranlagung zur Ruhe und Stressbeständigkeit. Doch die erlernten Techniken helfen Sturm, das innere Gleichgewicht zu halten.
Denn manchmal muss der Dienststellenleiter doch raus. Auch in der Freizeit oder nachts klingelte bei ihm daheim das Telefon. Bei Großbränden und Banküberfällen. Oder wenn nach einem tödlichen Unfall die Angehörigen informiert werden mussten. Eine Aufgabe, die kein Kollege gern erfüllt und die Sturm häufig selbst wahrnahm.
So erinnert sich der 60-Jährige an einen Fall, als bei Mellrichstadt ein vierjähriges Kind vom Zug erfasst wurde und starb. Sturm wurde damals aus dem Urlaub beziehungsweise einer privaten Sitzung herausgeholt. Eher skurril hingegen war der Fall mit der Wüstenrennmaus, die Beamte auf der Suche nach Rauschgift in einer Wohnung fanden. Sie hatte wohl an den Drogen genagt und lag apathisch da.
Ein Fall für die Kripo in Schweinfurt? Der gehörte Sturm seit 2001 an. Sein Ressort: Eigentumsdelikte. Mit Aktionismus á la Tatort und CSI hatte das wenig zu tun, eher mit Puzzlearbeit. Sturms Lieblingskrimiserie: Columbo, weil Peter Falk den Fall messerscharf analysiert und den Täter fast beiläufig in die Enge treibt.
Zehn Jahre in Mellrichstadt sind vorüber. Sturm freut sich auf den Ruhestand, auch wenn er schon weiß, dass ihm die Polizei fehlen wird. Kommunalpolitisch und im Mundart-Laientheater will er sich engagieren. Aber das tut er jetzt schon. Ansonsten lässt er Haus, Garten, Familie auf sich zukommen, nimmt sich nichts Konkretes vor.
Mit der Entwicklung seiner Dienststelle ist Sturm „recht zufrieden“. Sein Nachfolger Robert Ilnyzckyj wird am 24. November vorgestellt. Am Tag, an dem Sturm offiziell aus dem aktiven Dienst verabschiedet wird. Wenige Tage, bevor er seine grüne Uniform an den Nagel hängt.