Das Summen in der Rhön wird lauter. Wenn auch verspätet. Nach den Regengüssen und kalten Temperaturen im April und Mai explodiert die Natur förmlich. Insekten und Bienen holen in der Sonne nach, was sie in den letzten Wochen versäumt hatten. Und die Rhöner Menschen? Erwecken auch den Eindruck als hätten sie ebenfalls etwas nachzuholen. Überall werden Fahrräder rausgeholt, Rhöner Radwege neuentdeckt und Trails und Straßen im ganzen Landkreis erkundet. Auch diese Rhöner Radfahrer leisten ihren Beitrag zur immer lauter werdenden Summ-Kulisse.
E-Bikes, wohin man blickt. Überall schnurrt ein leises Geräusch der elektrischen Rad-Unterstützung. Während E-Bikes, noch vor wenigen Jahren vermehrt von älteren Menschen – oft aus gesundheitlichen Gründen – genutzt wurden, hat sich der Spieß der Fortbewegung komplett gedreht. Die Sportlerinnen und Sportler, die mit ihrem Zweirad noch aus eigener Kraft den Kreuzberg oder die Gleichberge erklimmen, sind mittlerweile fast zur Rarität geworden. Der Boom machte auch vor Rhön und Grabfeld nicht halt.
Umweltverträgliche Alternative zum Auto
Michael Hippeli betreibt im neunten Jahr den "Cube Store Rhön" in Nordheim. Die Liebe zum E-Bike kommt für ihn nicht überraschend. "E-Bike-Touren machen einfach unglaublich Spaß und bringen viele Vorteile mit sich. Die Räder sind eine umweltverträgliche Alternative zum Auto, denn unsere Kundinnen und Kunden aus allen Altersschichten fahren, dank der elektrischen Unterstützung, auch längere Strecken, die sie mit dem normalen Fahrrad niemals getätigt hätten."
"Zudem nutzen bereits viele ihr E-Bike für den täglichen Weg zur Arbeit. Das spart Benzin und gleichzeitig ist man ein bisschen in Bewegung, ohne komplett verschwitzt am Arbeitsplatz anzukommen. Oftmals braucht man für die Strecke zur Arbeit mit dem Rad nur unwesentlich länger als mit dem Auto. Immer mehr Unternehmen bieten dazu ihrer Belegschaft steuerlich vergünstigte Diensträder an. Das ist eine gute Sache und spornt viele Menschen an, auf das Rad umzusteigen", so Hippeli.
Hippeli ist selbst begeisterter E-Bike-Fahrer und konnte eine steigende Nachfrage schon in den letzten Jahren beobachten und auch nachvollziehen. Doch – wie in vielen anderen Bereichen auch – das Corona-Jahr 2020 war dann doch völlig neu und unerwartet. „Nach Ende des ersten Lockdowns 2020 wurden wir vollkommen überrannt. Die Menschen wollten raus, wollten die Natur und die Heimat neu entdecken und legten sich E-Bikes für den Sommer daheim zu. Lange Schlangen bildeten sich vor unserem Laden und wir wurden komplett leergeräumt. So etwas habe ich noch nicht erlebt. Da CUBE ein Familienbetrieb in der Oberpfalz ist, waren die Produktionskapazitäten einfach irgendwann erschöpft. So eine Nachfrage geht einfach nicht zu stemmen. Zum Glück haben wir noch eine Filiale in Lohr und konnten viele Dinge dadurch kompensieren.“
Bei anderen Fahrradläden war die Situation ähnlich. Jürgen Gaul von "Gaul & Klamt ebike-pro" in Bad Neustadt konnte ebenfalls nicht glauben, was im letzten Jahr bei ihm im Bad Neustädter Laden los war. Vor elf Jahren gründete er seine Fahrrad-Sparte und setzte schon in der Vergangenheit vermehrt auf E-Bikes. Dennoch: "Es war einfach Wahnsinn im letzten Jahr und unsere Vorstellungen wurden völlig übertroffen. Wir hatten eine Steigerung von fast 100 Prozent zum Vorjahr und der Bedarf ist immer noch ungebrochen."
Verständlich, dass es dann aufgrund der extremen und enormen Nachfrage im vergangenen Sommer zu größeren Lücken und Wartezeiten kam. Daraus hat Gaul nach eigenen Aussagen gelernt. "Wir haben schon früh große Mengen bestellt, uns einen Vorrat an Rädern angelegt und schon jetzt für 2022 eingekauft." Dennoch sind viele Fahrradständer in den Rhöner Rad-Geschäften leer und viele Räder bereits vergriffen. Lieferzeiten von mehreren Monaten sind keine Seltenheit.
Die Rhön: Mehr als nur ein Mountain-Bike Geheimtipp
Während Freizeit-Radler die Rhön und ihre Heim-Strecken gerade für sich neu entdecken, ist die Rhön in der Mountainbike-Szene schon lange ein Geheimtipp. Fast alle einschlägigen Mountainbike-Magazine berichten regelmäßig über das "Land der offenen Fernen" in der Mitte Deutschlands. So reihen sich die Trails, aber auch die Fernradwege der Region in die Liste touristisch deutlich besser erschlossene Gegenden wie das Allgäu oder den Bayerischen Wald ein.
Jürgen Gaul, der selbst viele Kilometer auf seinem Rad zurücklegt, freut sich. "Unsere Kundinnen und Kunden fahren nicht nur nach Bad Kissingen zum Kaffeetrinken, sondern genießen auch die Aussicht an der Kissinger Hütte. Früher sind viele Radfahrerinnen und Radfahrer 200 bis 300 Kilometer im Jahr gefahren. Heute fahren sie das in acht Wochen. Mit dem E-Bike sind 80 Kilometer am Tag schließlich keine Seltenheit mehr."
E-Bikes bergen aber auch Gefahren
Doch die E-Bikes bringen auch Gefahren mit sich. Mit knapp 25 Kilogramm sind viele E-Bikes deutlich schwerer als unmotorisierte Räder aus der Vergangenheit. "Gerade bergab haben manche ihr Rad nicht unter Kontrolle und wissen gar nicht, wie man richtig bremst, gerade bei unasphaltiertem Untergrund. Deswegen ist das Tragen eines Helmes wirklich enorm wichtig", sagt Jürgen Gaul. "Früher fand etwa auf dem Weg zum Kreuzberg schon eine natürliche Selektion statt. Ungeübte Fahrerinnen und Fahrer blieben dann eher in Bischofsheim zur Einkehr und quälten sich nicht die steilsten Stücke hoch. Heute ist das anders. Da sind Leute auf Trails unterwegs, die von ihrem Können her eigentlich dort gar nichts zu suchen haben. Dann wird’s gefährlich", warnt Michael Hippeli.
Trotz des Spaßes und der neuen Möglichkeiten, die so ein E-Bike mit sich bringt, hat Michael Hippeli noch eine große Bitte an die radfahrenden Neueinsteiger. Es sei wichtig, dass sich alle an die Verkehrsregeln halten und auf den Radwegen und ausgeschilderten Trails im Wald bleiben. Schließlich müsse man die Natur, in der sich die Biker bewegen, in jedem Fall respektieren, schützen und erhalten.
Und wenn sich alle mit gesundem Menschenverstand fortbewegen, dann ist das Summen etwas Schönes und wirklich eine Bereicherung für die Region – und für den Umweltschutz.