Roland Werk ist Gründer und Leiter des Babende Instituts für medizinisch-mikrobiologische Forschung in Würzburg. Zur Hauptaufgabe des 1980 gegründeten Instituts gehört die Integration neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse in ein ganzheitliches, will heißen: systembiologisches Modell des menschlichen Organismus.
Herr Dr. Werk, welche Bedeutung messen Sie der Mundhygiene als Prophylaxe von Infektionskrankheiten bei, die sich vor allem über die Atemwege im menschlichen Körper ausbreiten?
Dr. Roland Werk: "Wir müssen verstehen lernen, dass Bakterien und Viren, die beherrschenden Lebensarten auf dieser Welt sind. Die megaastronomische Anzahl von 10 Exponent 30 Bakterien und 10 Exponent 31 Viren belegt dies. Wir leben in einer bakteriellen Welt und sind von einer Viruswolke umgeben. Dementsprechend haben alle höheren Lebewesen, Tiere einschließlich Menschen und Pflanzen, sich so entwickelt, dass sie einerseits die vielen Vorteile des Zusammenlebens mit Mikroorganismen nützen, andererseits sich gegenüber potentiellen Gefährdern schützen können. Die Haupteintrittspforten sind die oberen Luftwege, zu denen auch der Mundraum gehört, die Genitalschleimhäute sowie die Haut. Eine Million Infektionen täglich verzeichnete die Weltgesundheitsorganisation 2019 durch sexuell übertragbare Erreger. Die Beteiligung der Mundflora bei Parodontose an der bakteriellen Infektion der Herzklappen sind ein Beispiel für die Bedeutung des Mundraumes. Jedes Jahr sterben 16 Millionen Menschen weltweit an Infektionskrankheiten."
Kann ein gesunder Mundraum eine "Barriere" gegen eine Ausbreitung von Viren im Mund- und Rachenraum darstellen und auch den Verlauf von Erkrankungen im Falle einer Infektion beeinflussen?
Dr. Roland Werk: "Entsprechend der enormen Bedeutung der Eintrittspforten hat sich ein überaus effektives, komplexes Abwehrsystem mit Abwehrzellen, Antikörpern und einer Vielzahl von antimikrobiellen Eiweißstoffen, auch Defensine genannt, gebildet. Defensine wirken gegen Bakterien, aber auch gegen Viren einschließlich HIV. Die Effektivität des Abwehrsystems wird durch "lokale" Prozesse wie Schleimhautdefekte als auch durch "systemische" Faktoren wie Diabetes oder konsumierende Grunderkrankungen gemindert. Schleimhautschädigungen rufen Entzündungen und Gewebeabbau zum Beispiel durch gewebeabbauende Enzyme der Gruppe der Metallomatrixproteasen (MMP) hervor. In dem geschädigten Gewebe ist die Effektivität des Abwehrsystems eingeschränkt. Hierdurch und durch die veränderten Zelloberflächen können sich Bakterien und Viren schneller und effektiv vermehren und in den Körper streuen. Also ja, Mundhygiene kann ein hilfreicher Schutz sein."
Haben Sie diesbezüglich in Ihrer Arbeit Erfahrungen und Ergebnisse feststellen können?
Dr. Roland Werk: "In über 20 Jahren der "Mikrobiomdiagnostik" haben wir gesehen, dass in der Regel Gesundheitsstörungen nicht isolierte Erkrankungen sind, sondern sowohl das Immunsystem als auch andere Körpersysteme insbesondere das Entzündungs- und Stresssystem beeinträchtigen. So hat sich gezeigt, dass Darmschleimhautstörungen in aller Regel mit Entzündungen des Zahnfleisches verknüpft sind."
In einer früheren Version stand bei der Zahl der Bakterien und Viren fälschlicherweise 1030 Bakterien und 1031 Viren. Richtigerweise sind das Exponentialwerte, die bei der Anzahl von Bakterien 10 hoch (Eponent) 30 und bei den Viren 10 hoch 31 bedeuten. Wir bitten diesen Fehler zu entschuldigen.