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MELLRICHSTADT
Diktatur oder Demokratie nicht so wichtig ?
Pfarrer und Bürgerrechtler Rainer Eppelmann mit Fritz Schroth vor den Schülern der Ignaz-Reder-Realschule
Foto: Gbureck Brigitte | Pfarrer und Bürgerrechtler Rainer Eppelmann mit Fritz Schroth vor den Schülern der Ignaz-Reder-Realschule
bgb
 |  aktualisiert: 02.04.2019 11:00 Uhr

Frisch von der Leber weg berlinerte Rainer Eppelmann, Pfarrer und Bürgerrechtler aus der ehemaligen DDR, der auf Einladung von Fritz Schroth von den Christlichen Tagesstätten Bischofsheim nach Mellrichstadt gekommen war, vor den Schülern los. Und gerade das machte ihn so authentisch und beeindruckte die Schüler.

Zunächst hielt er einen Vortrag über sein Leben in der ehemaligen DDR vor Neuntklässlern der Ignaz-Reder-Realschule. Unter anderem erzählte er hier von Olli, den man in den 70er Jahren in der DDR nicht Blues spielen lassen wollte. Pfarrer Eppelmann konnte sich vorstellen, dass er im Gottesdienst spielt. Es wurde die erste Bluesmesse und die Kirchenbesucher waren begeistert. Zu Beginn war die Kirche mit 200 Besuchern gefüllt. Die Gottesdienste wiederholten sich, da passten längst nicht mehr alle in die Kirche. In deren Räume wurden die Probleme der Jugend offen angesprochen.

Jeder wird gebraucht

Wie authentisch das Leben in der DDR in dem Film „Das Leben der anderen“ ist, das wisse er nicht. Aber das Böse, das Teuflische dieser Gesellschaft bringe dieser Film gut zum Ausdruck. Wie er sich gefühlt habe, als die Mauer fiel, wurde Eppelmann gefragt. Als er nach einer Veranstaltung davon gehört habe, ging er in die Bornholmer Straße, wo schon 200 Leute standen. Der Schlagbaum war noch zu. „Na, nu mach'n doch uff“, rief einer. „Schabowski hat jesacht, wie dürfen rüber“. Die Soldaten standen unbewaffnet da. „Demokratie funktioniert nicht, wenn die da oben sitzen, sie braucht uns, jeden einzelnen“, beschwor Eppelmann die Schüler. Sie sollten versuchen, das Ihre dazu beizutragen, dass dieses Land eine Demokratie bleibt: „Noch nie ging es der Allgemeinheit in Deutschland so gut wie heute“.

Danach ging es zu den 10. Klassen des Martin-Pollich-Gymnasiums, wo Direktor Robert Jäger sich freute, dass die Schüler eine solche Persönlichkeit kennenlernen konnten. Eppelmann begrüßte die Schüler, um ihnen von einer Zeit zu erzählen, die sie nicht erlebt haben. Da will uns einer aus einer Zeit erzählen, die gefühlt so weit weg ist wie Kaiser Wilhelm oder Napoleon, und das soll für uns wichtig sein? So mochten die Schüler wohl denken. Sie sollten aber wissen, wo sie herkommen, was sie zu denen gemacht hat, die sie heute sind. Nur dann würden sie ihr Leben nach eigenen Vorstellungen mitbestimmen können.

Demokratie nicht alltäglich

Das Leben, das sie heute in einem demokratischen Rechtsstaat führen können, sei etwas Besonderes. Das sei vielleicht das Problem, dass die jungen Leute nur das eine Deutschland kennen, in dem sie leben. Demokratie ist alltäglich für sie. Als Eppelmann geboren wurde, war Krieg, er wuchs in der sowjetischen Zone auf. Niemand habe ihm damals Demokratie oder Diktatur erklärt. Er wollte die Oberschule besuchen, durfte es aber nicht, weil seine Eltern ihn nicht zu den Jungen Pionieren oder zur FDJ gelassen haben. Die Mutter schickte ihn dann ins Gymnasium nach Westberlin, das war damals noch möglich. Doch nach der 11. Klasse war Schluss damit, Ulbricht hatte die Mauer gebaut.

Diktatur oder Demokratie nicht so wichtig für unser kleines persönliches Glück? Die Deutschen können Demokratie, sie können gute Nachbarschaft. Sie sollten im eigenen Interesse darauf achten, dass es so bleibt. Demokratie funktioniert aber nur, wenn möglichst viele engagiert mitmachen. Es wäre fatal, wenn eine lautstarke Minderheit in Deutschland entscheidet, wie Deutschland in 50 Jahren aussieht. Als er 46 Jahre alt war, habe die DDR aufgehört zu existieren. Sein größter Wunsch ist es, mit klarem Kopf wenigstens 93 Jahre alt zu werden. Dann könnte er sagen: „Heute lebe ich ein Jahr länger in der Demokratie, als ich vorher in der Diktatur leben musste“, damit gab Eppelmann die Fragerunde nach einer Geschichtsstunde der besonderen Art, wie Fritz Schroth es formulierte, frei.

Drei Anschläge überlebt

Unter der Regierung von Lothar de Maiziere war Eppelmann Verteidigungsminister. Ob er jemals versucht habe, zu fliehen, wurde gefragt. Ja, auch um das Abitur zu machen. Aber dann habe er seine Frau kennengelernt, habe auf dem zweiten Berufsweg Theologie studiert und ist Pfarrer geworden. Es war für ihn die richtige Entscheidung. Drei Anschläge auf ihn habe er überlebt. Die Angst habe ihn schon begleitet, obwohl er anfangs so naiv war zu glauben, dass es ihm nicht an den Kragen gehen könnte. Seine Wohnung war auch komplett verwanzt.

Heute fühle er sich als Gewinner. Jetzt lebe er in der Demokratie, von der er immer geträumt hat. Heute macht er sich aber Sorgen um die Demokratie, weil alle meinen, die ist doch sicher. Weil sie nichts anderes kennen. Deshalb sei er hier, um deutlich zu machen, dass es im Großen und Ganzen nur so bequem und abgesichert bleibt, wenn sie dazu beitragen, dass es so bleiben kann.

 
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