
Wie aus Flachs in mühevollen Arbeitsprozessen feinstes Leinen entsteht, war Thema einer Sondervorführung am Silvesternachmittag im Heimatmuseum Salzhaus. Die Plätze in der Flachsabteilung unter dem Dach waren fast alle besetzt, als Museumsleiter Rudolf Mauder den Besuchern die Flachsbearbeitung nahebrachte.
Diese Geräte dafür hat Mauder alle für das Heimatmuseum geschenkt bekommen. Sie tauchten bei Entrümpelungsaktionen und beim Abriss alter Gebäude auf. Allerdings wussten weder Mauder noch der Vorbesitzer – mit den Worten: „Dos kohste geho, wos es is, wäss ich ah net“ übergab er die Gerätschaften –, um was es sich dabei handelt und wie die Geräte eingesetzt wurden. An langen Winterabenden hat sich der Museumsleiter die Kunst der Flachsbearbeitung selbst angeeignet.
Das Armenhaus Rhön
Bei einer Zeitreise in das Rhöner Land des 18. und 19. Jahrhunderts erfuhren die Zuhörer viel über die Lebens- und Arbeitsbedingungen in dieser als „Armenhaus“ geltenden Region. Auf den kargen Böden gediehen Kartoffeln und Flachs. Die klimatischen Bedingungen waren für andere Feldfrüchte ungünstig. Flachs war das einträglichste Produkt der Gegend. Durch den Anbau und die Verarbeitung in den Wintermonaten erwirtschafteten die Rhöner einen wesentlichen Teil ihres Lebensunterhalts.
Mauder erzählte, wie er über die zunächst erfolglose Suche nach Flachs zu Leinsamen fand. Denn daraus wächst die Flachspflanze. Der Mellrichstädter hat in seinem Garten Flachs angebaut und musste oft Unkraut jäten, denn das wächst viel schneller als die jungen Flachspflanzen. Auf den Feldern war das seinerzeit ebenso. Die in blau erblühten Flachsfelder und sonntägliche Ausfahrten dorthin – die Fahrt ins Blaue – sind wie viele andere Redewendungen aus dem Jahreslauf der Flachs- und Leinenzeit auch heute noch gebräuchlich.
Die Flachsernte – das Rupfen oder Raufen – im Sommer erforderte viel Handarbeit. Nachdem die Samenkapseln am Riffeleisen abgerissen wurden, legte man die Flachsstängel etwa zehn Tage ins Wasser. Nach dem Trocknen und Dörren erfolgte im Winter die Weiterverarbeitung. Mit der Flachsbreche wurden die hölzernen Stängel zerstört und die Reste davon, die Schäben, über den Schwingbock mit dem Schwingeisen abgestreift. Über der kammähnlichen Hechel wurden restliche Holzstückchen von den Leinenfasern getrennt und die feinen Fasern mit dem Spinnrad zu Garn verarbeitet. Dabei wurden die Fasern zusammengedreht, so dass ein Faden entstand. Diesen Vorgang demonstrierte Mauder mit der kleinen Alina aus dem Publikum. „Die spinnen“ – diese Redewendung kommt davon, dass früher Menschen in Armen- und Waisenhäusern sowie Behindertenheimen für den großen Garnbedarf spinnen mussten.
Der Faden wurde dann mit der Haspel zu Garnrollen aufgewickelt. Mauder zeigte eine sogenannte Knackhaspel, die mit einem Hammerschlag signalisierte, wenn 200 Meter Garn aufgewickelt waren. Die Redewendung „Der alte Knacker“ kommt von dieser Tätigkeit, die oft von alten Leuten verrichtet wurde, die keine körperlich schwere Arbeit mehr leisten konnten. Im Webstuhl wurde das Garn zu Leinen. Hierbei war seinerzeit auch Kinderarbeit üblich. Mauder demonstrierte das an einem etwa 200 Jahre altem Bandwebstuhl, der wohl aufgrund seiner Maße für Kinder gebaut wurde.
Das blaue Wunder
Leinen wurde zuweilen mit Indigo blau gefärbt. Weil beim Färben der Stoff zunächst blass-grün erscheint und erst beim Kontakt mit dem Sauerstoff aus der Luft seine endgültige Farbe erhält, erlebte der Färber sein „blaues Wunder“.
Im 19. Jahrhundert ging dieser einst bedeutsame Wirtschaftszweig danieder. Importiertes, maschinengewebtes Leinen aus England und die zunehmende Verwendung von Baumwolle verdrängten den heimischen Flachsanbau. Zwischen 1935 und 1945 forderte die nationalsozialistische Regierung, den Flachsanbau wieder aufzunehmen. Es wurde ein Soll an Anbaufläche bestimmt – für Mellrichstadt lag das Anbausoll bei vier Hektar. Der geerntete Flachs wurde zur industriellen Verarbeitung von den Bauern an zentralen Sammelstellen abgeliefert. Auf diese Weise sollte die Abhängigkeit von Auslandseinfuhren reduziert und die Ausrüstung des Heeres sichergestellt werden. Seit dem Kriegsende 1945 wird in der Region kein Flachs mehr angebaut.