
Sie ist noch lange nicht aufgearbeitet, die Geschichte der beiden deutschen Staaten, die im November 1989 nach 40 Jahren Teilung die Wiedervereinigung feierten. Der Verein für Heimatgeschichte Bad Königshofen stellt sich seit Jahrzehnten der Aufgabe, die Erinnerung an die Zeit der innerdeutschen Grenze und der Grenzöffnung zu bewahren. Er lud zu einer Podiumsdiskussion zum Thema "Es war einmal – die DDR" in die Alte Darre ein.
Teilnehmende waren Wolfgang Schramm (ehemaliger Leiter BR- Studio Würzburg), Georg Rath (Bürgermeister von Herbstadt), Hartmut Eppler (ehemaliger Grenzpolizist und Kreisrat), Elke Müller (Partnerin eines bei der Flucht Getöteten), Erwin Ritter (ehemaliger Mitarbeiter des Bundesgrenzschutzes) und Julia Back (Redaktionsleiterin Main-Post). Moderiert wurde das Gespräch von Kreiskulturreferent Hanns Friedrich.
Zur Einstimmung ins Thema führte Friedrich den BR-Film "Ein Blick von Bayern nach drüben" vor, der noch vor der Grenzöffnung entstand. Vom sicheren Terrain im Westen aus wurde der Bau der Grenzanlagen dokumentiert sowie der stetig wachsende Aufwand, der betrieben wurde, um Flucht zu verhindern. Im Westen sprach man vom "Todesstreifen", weil immer wieder Flüchtende dort ihr Leben ließen.
Am Ende der Welt
Mit großer Betroffenheit reagierte Julia Back, die Jüngste in der Runde, auf den Film. Wie wenig Wert ein Menschenleben hatte, sei erschreckend. Erwin Ritter berichtete von seiner Arbeit beim Bundesgrenzschutz, die überwiegend daraus bestand, die Grenze zu beobachten. Obwohl den Grenzsoldaten der DDR eigentlich der Kontakt zu den Kollegen aus dem Westen verboten war, sei dies vereinzelt doch möglich gewesen, wenn man geschickt vorging. Auch Fotos oder Zeitschriften wurden manchmal übergeben, zum Beispiel gut versteckt in einem Gebüsch.
Aus seiner Zeit bei der Polizei kannte Hartmut Eppler einige Stellen an der Grenze, durch die Schleusungen stattfanden, was bedeutet, dass man über verborgene und gut getarnte Zugänge von der DDR in die BRD gelangen konnte. Diese Wege nutzen vor allem Spione und Mitarbeiter der Stasi. "In Breitensee befand man sich gefühlt am Ende der Welt", beschrieb Georg Rath das Lebensgefühl. Straßen endeten abrupt und auf der anderen Seite konnte man aufgeregte Aktivitäten auf dem Wachturm beobachten, sobald sich jemand der DDR-Grenze näherte.
Besonders berührte die Geschichte von Elke Müller, die in Bibra, mitten im Sperrgebiet der DDR aufwuchs. Ihr damaliger Freund Klaus Seifert entschloss sich zur Flucht. Am 8. April 1971 zog er los, um bei Schwickershausen im Landkreis Meiningen die Grenze zu überwinden. Er hatte es fast geschafft, als ihm eine Tretmine den linken Fuß abriss. Schwer verletzt gelang es ihm, sich in den Westen zu schleppen. Im Mellrichstädter Krankenhaus musste ihm der Unterschenkel amputiert werden. Tragischerweise kam es zu einer Infektion der Wunde. Trotz weiterer Behandlungen in Würzburg starb er am 4. Mai 1971 mit gerade einmal 18 Jahren.
Euphorie nach der Grenzöffnung
Seine ein Jahr jüngere Freundin Elke war schwanger von ihm. Ihre Tochter lernte den Vater nie kennen. Sie wuchs aber mit dem Wissen auf, wie es ihrem Vater ergangen war. Von klein auf liebte sie den Geruch der Pakete, die Verwandte aus dem Westen schickten. Der Geruch nach Braunkohle im Osten hingegen wurde von den Westdeutschen eher als unangenehm empfunden, wie Erwin Ritter anmerkte.
Wolfgang Schramm berichtete 1989 für den BR über die Grenzöffnung. Gut hat er noch die kilometerlangen Autoschlangen rund um den ehemaligen Grenzübergang Eußenhausen/Meiningen in Erinnerung, die er vom Hubschrauber aus filmte. Ganz Mellrichstadt war voll mit Besuchern aus Thüringen, eine Metzgerei spendierte Bratwürste für alle und die Stimmung war geradezu euphorisch.
Am Ende waren sich alle darüber einig, dass es in Zeiten, in denen die Spannungen zwischen dem Osten und dem Westen Deutschlands zunehmen, wichtig ist, sich mit diesem Teil der deutschen Geschichte intensiv zu beschäftigen. Man könne daraus lernen, wie bedeutend und erhaltenswert Demokratie ist. Vor allem die Schulen seien aufgefordert, hier noch viel mehr zu tun.
Enkel mitnehmen
Zum Abschluss dankte Hanns Friedrich, dass sich eine so große Zahl von Interessierten eingefunden hatte. Leider war die junge Generation, die so dringend mehr über diese Zeiten informiert werden sollte, nicht vertreten. "Nehmen Sie das nächste Mal ihre Enkel mit!", empfahl Julia Back dem Publikum.





