
Mit wissenschaftlicher Akribie ist dem Anwesen auf dem Franziska-Streitel-Platz 9 auf den Zahn gefühlt worden. Josefin Schnepf hat ihre Masterarbeit dem Fachwerkbau gewidmet und einiges Unbekanntes ans Tageslicht gefördert. Doch einige Geheimnisse konnte die Studentin ihrem Untersuchungsobjekt doch nicht entlocken.
Bald vier Monate hat die Oberelsbacherin fast täglich mehrere Stunden in dem Anwesen zugebracht. Verantwortlich war dafür ein Aufruf in den sozialen Medien. Die Studentin hatte im Internet einen Post gesetzt und darin nach einem historischen Anwesen gesucht, das sie im Rahmen ihrer Masterarbeit zum Abschluss ihres Studiums der Denkmalpflege an der Uni Bamberg untersuchen will. Mellrichstadts Oberhaupt Michael Kraus ist auf die Anfrage aufmerksam geworden und mit der jungen Frau in Kontakt getreten, um auch bald mit ihr einig zu werden. Im April bekam sie den Schlüssel für das Gebäude und konnte loslegen.
Stadtarchivar half beim Entziffern alter Schriften

Schnell entstand dabei auch der Kontakt zu Stadtarchivar Thomas Künzl und Dr. Helmut Schlereth, der sich bereits intensiv mit der Geschichte Mellrichstadts und zahlreichen historischen Anwesen beschäftigt hat. Vor allem bei der Suche nach alten Handschriften sei Künzl eine unschätzbare Hilfe gewesen, betont die Studentin bei dem Ortstermin neben der Kirche. Sie selbst habe bei ihrem ersten Studium der Architektur in Würzburg ein Seminar für altdeutsche Schriften belegt, um die meist in Sütterlin verfassten Dokumente entziffern zu können.
Trotz intensiver Recherche im Stadt- und Staatsarchiv konnte die 25-Jährige aber nicht die Namen der ersten Bewohner und des Erbauers ausfindig machen, schildert die Studentin. Sie sei lediglich auf ein Dokument gestoßen, in dem auf einen Vorgängerbau im 16. Jahrhundert hingewiesen wird. Erst ab dem 18. Jahrhundert lässt sich beginnend mit einem Kaspar Then die Reihe der Besitzer zurückverfolgen. Zwischenzeitlich soll das Anwesen als Armenhaus und als Lazarett für Verwundete einer Schlacht in Thüringen gedient haben.
Errichtung zwischen 1617 und 1619
Ende des 19. Jahrhunderts ist das Anwesen, das seit etwa 20 Jahren nicht mehr bewohnt wird, in den Besitz der Stadt übergegangen. Warum das Anwesen im Volksmund "Gockelsburg" heißt, konnte die angehende Wissenschaftlerin ebenfalls nicht klären, das hänge aber wohl mit einem gleichnamigen Mellrichstädter Bürger zusammen, der nicht gerade den besten Leumund besessen haben soll.
Mit einer sogenannten dendrologischen Untersuchung konnte allerdings die Errichtung des Anwesens recht exakt auf die Jahre 1617 bis 1619 eingegrenzt werden. Bei dem Verfahren wird über einen Bohrkern die Zeit bestimmt, in der der Baum gewachsen ist. Durch Vergleich mit damals angewandten Handwerkstechniken kann datiert werden, wann das Holz verbaut worden ist, erklärt Josefin Schnepf. Eine über dem Türstock eingeschlagene Zahl von 1879 führe dagegen in die Irre und bezeichne lediglich das Jahr einer Renovierung.
Keller warf viele Fragen auf
Auffällig sind die Höhe des Hauses und das schmuckreiche, komplett aus Eiche gefertigte Fachwerk, was den repräsentativen Charakter des Anwesens unterstreiche. Die exponierte Lage neben der Kirche und die großzügigen Räumlichkeiten lassen ebenfalls auf einen besser situierten Bauherren schließen.
Die meisten Rätsel habe jedoch der mächtige Keller hervorgerufen. Ein recht kunstvoller Türsturz am Eingang deute nicht gerade auf eine eher profane Nutzung als reinen Lagerraum, mutmaßt die junge Frau. Die Vermutung von Schlereth, es könne sich um einen Weinkeller handeln, teilt die Oberelsbacherin mit Hinweis auf die Verputzung ebenfalls nicht.
Welche Bedeutung hat der Schacht?
Die Bedeutung eines aus dem Kellergewölbe führenden Schachts, der an der Fassade zum Franziska-Streitel-Platz endet, liege für sie ebenfalls völlig im Dunkeln, "ich hab' stundenlang mit meinem Prof davorgestanden und wir haben gemeinsam gerätselt, was diese Vorrichtung darstellen kann". Vielleicht hänge das mit dem Friedhof zusammen, der einst vor dem Haus gewesen ist, "hier wäre eine weitergehende archäologische Untersuchung notwendig".
"Ich sehe schon, hier gibt es noch einiges zu enträtseln", stellt der Bürgermeister fest, als er am Ende des Ortstermins ein Exemplar der 300-seitigen Masterarbeit entgegennimmt. Und mit der Übergabe kündigte das Ortsoberhaupt auch an, etwas gegen den Wassereinfall zu unternehmen, der bereits deutliche Spuren am Mauerwerk hinterlassen hat.
Kraus befürchtet jedoch, dass das ohnehin schon stark in Mitleidenschaft gezogene Gebäude wohl weiterhin ungenutzt sein wird, weil es als Wohnhaus eher unattraktiv sei. Eine umfassende Sanierung durch die Stadt komme daher kaum in Frage, "wir bräuchten einen Liebhaber als Investor". Josefin Schnepf schmerzt auf jeden Fall, dass solch ein prächtiges Gebäude nicht mit Leben gefüllt ist, "es wäre schade, wenn so etwas für die Nachwelt nicht erhalten bleibt".