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MEININGEN
Die Legende von Paul und Paula auf der Meininger Theaterbühne
Tanzen auch mal im Bett: Hans-Peter Feix und Marion Krause als Paul und Paula im gleichnamigen Stück.
Foto: Sebastian Stolz/Filmwild | Tanzen auch mal im Bett: Hans-Peter Feix und Marion Krause als Paul und Paula im gleichnamigen Stück.
Von Siggi Seuß
 |  aktualisiert: 07.11.2019 22:20 Uhr

Man könnte schwer sentimental werden, allein schon, wenn man diese zeitlosen Lieder der Puhdys hört, die „Die Legende von Paul und Paula“, den Liebes-Kultfilm aus tiefster DDR-Zeit, untermalen: „Wenn ein Mensch kurze Zeit lebt.“ Und nun steht ein Sänger mit der Gitarre in der Hand auf der Bühne der Meininger Kammerspiele und fängt mit zärtlich gepresster Stimme an, gerade dieses Lied zu singen, während die Szene noch im Dunkeln liegt und außer dem Song nur die von der Decke hängenden Lichterketten und der Sand am Boden Fantasie und Illusion beflügeln.

Man kriegt Gänsehaut – jedenfalls als romantophiler Mensch –, wenn man diese Töne hört und auf die Geschichte wartet, die die zwölf Darsteller der Meininger Bürgerbühne in Regie von Gabriela Gillert (und in der illusionsfördernden Ausstattung von Helge Ullmann und Elena Vonderau) gleich erzählen. Dazu muss man weder in der DDR aufgewachsen sein, noch den Film in- und auswendig kennen, der Angelica Domröse und Winfried Glatzeder 1973 auf einen Schlag berühmt gemacht hat.

Es war keine vordergründig politische Botschaft, die Heiner Carows Film verkündete. Die Geschichte war vielmehr eine poetische Hymne auf das richtige Lieben im falschen Leben. Eine Hymne auf den Versuch zweier Liebender – sie alleinerziehende Mutter, er ein unglücklich verheirateter Vater – als Individuen gegen die Tristesse von Konvention und Konformität im realsozialistischen Alltag zu lieben und zu leben. Im Rahmen des Gegebenen.

Aus Mief erwächst Fantasie

Gegen alle Euphorie, die der Film beim Publikum auslöste, behauptete Max Frisch damals, der Film sei traurig, „als Symptom einer Frustration, deren Wunschtraum noch Mief erzeugt“. Er hat recht: Der Mief blieb im Leben/Lieben hängen, wie der Minol-Kohlestaub-Duft, der über dem Land lag. Die Möglichkeiten freien Lebens und Liebens blieben im Rahmen eines kleinbürgerlichen Bohemien-Idylls. Frisch hat aber auch unrecht: Illusionen und Fantasien, die in jenem Mief gediehen, überwucherten bei Weitem die geforderte Zucht und Ordnung – wie Schattengewächse der Nacht.

Allein schon die Fahrt auf dem Spreekahn – in Meiningen wird daraus natürlich ein Werrakahn – zu den Klängen von „Geh zu ihr“ ist ein schönes Bild einer konkreten Utopie, die im richtigen Leben sofort die Staatssicherheit auf den Plan gerufen hätte.

Die Meininger Inszenierung spielt geschickt mit dem Stoff und seiner Musik und verquickt beides mit der Sicht der Laiendarsteller auf ihre eigenen DDR-Liebesgeschichten. Und um das Ganze atmosphärisch zu komplementieren, gibt die dreiköpfige Amateurcombo mit dem vielbeschäftigten Sänger und Leadgitarristen Jan Schamberger ihr Bestes.

Das Spektrum der Erinnerungen in Sachen Liebe reicht bei den Darstellern von großer Glückseligkeit bis zu herber Enttäuschung. Das Prinzip Hoffnung jedoch dominiert bei allen. Bei den einen im Sinne des berühmten Therese-Giehse-Zitats: „Man muss sich nur einreden, dass es schön war, was man erlebt hat.“ Bei den Zweiten aus tiefster Glücksüberzeugung und bei den Dritten in der Gewissheit, dass ihr Paul oder seine Paula noch irgendwo dort draußen im Universum unterwegs ist.

Paula wird gleich von fünf Frauen in ihren Charakterwinkeln ausgeleuchtet, Paul von drei Männern. Vom Habitus her kommen dem Filmpaar wohl Anja Drehmann und Uwe Kley am nächsten. Natürlich gehören zur Personnage noch ein paar originelle Typen: der sich ewig vergeblich sehnende Reifenhändler Saft (Frank Nürnberger, stehend, sitzend und liegend), Pauls frivole Ehefrau (Anja Wittek), die Schießbudenbesitzerin (Marion Thieme), die, wunderbar nostalgisch, sogar auf einer Luftschaukel in die Szene schweben darf. Und eine Nachbarin (Barbara Nußbaum), deren Aufgabe darin besteht, dem Publikum die Geschichte meiningenkompatibel zu erzählen.

Laien mit Herzblut

Selbstverständlich kommen Gedanken und Worte der Akteure nicht so geschliffen aus den Mündern wie bei den Profis, selbstverständlich wirken Gestik und Mimik manchmal zu arg aufgesetzt. Aber das vergisst man schnell, wenn man spürt, mit wie viel Herzblut die Laien spielen. Und wenn man sieht, wie nah sie ihren eigenen Träumen im Spiel kommen. Wie sie sich in wunderbar choreografierten Szenen freispielen, sieht man zum Beispiel, wenn Paul vor Paulas Tür nächtigt und von der Briefträgerin (Helga Berger) ganz selbstverständlich zum lebenden Inventar des Treppenhauses gezählt wird.

Oder Pauls Herzkritzeleien an Paulas Wohnungstür und der fantastische Liebesakt, bei dem – na, wer wohl? – die Puhdys Pauls Drachen steigen lassen. Da glauben selbst eingefleischte Zyniker ans richtige Lieben im falschen Leben. Zumindest für den Augenblick.

Nächste Vorstellungen: 6., 7., 24. und 26. Februar, jeweils 20 Uhr, Kammerspiele. Karten: Tel. (0 36 93) 451 222.

www.das-meininger-theater.de

 
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