
1494 war in Basel ein Buch erschienen, das sein Verfasser „Das Narrenschiff“ genannt hatte. Das war eine spätmittelalterliche Moralsatire, mit einer zeitlosen Typologie von über hundert verschiedenen Arten von Narren. Es darf stark angenommen werden, dass die Narren das Ziel ihrer Reise, das fiktive Land Narragonien inzwischen gefunden haben. Denn dieses Land ist gar nicht so fiktiv, sondern sehr konkret, und es heißt Deutschland.
Jedenfalls mussten die Besucher nach Wolfgang und Silvia Klösels Kabarettauftritt in der Alten Schule in Oberstreu den Eindruck gewinnen, dass die Welt und besonders Deutschland Orte sind, in denen sich alle Spielarten von Narretei austoben. Ihnen wurde ein Feuerwerk von geschliffen-spitzigen Bemerkungen zu den Torheiten, Hirnrissigkeiten, Anmaßungen, Eitelkeiten, Gemeinheiten, Irrationalitäten, Gaunereien, menschlichem Versagen und Unmenschlichkeiten unserer Zeit geboten. Einer Zeit wie der unseren ist nur noch mit Galgenhumor beizukommen, das war etwa der Tenor des Abends, wie Wolfgang Klösel in einem Pausengespräch erkennen ließ. Und dass es ihm ein Bedürfnis sei, seinem Herzen Luft zu machen und seine Zuhörer, wenn auch über das Lachen, zum Nachdenken zu bewegen.
Satire vom Feinsten
Sabine Tolksdorf vom Theaterverein Oberstreu hatte die Gäste begrüßt. Mit dem Auftritt von Silvia und Wolfgang Klösel wollte der Verein den Oberstreuern einen Ersatz anbieten, da der Verein in diesem Jahr selbst keine Inszenierung geplant hat. Doch was heißt schon Ersatz! Das war professionelles politisches Kabarett, in das auch satirische Elemente eingeflochten waren. Und musikalische Einlagen. Denn die Klösels wurden ihrem Ruf als Vollblutmusiker gerecht, wenn sie im Duett ihre Couplets mit ironisch-witzigen Texten sangen, oder wenn Wolfgang Klösel mit furios-meisterhafter Hingabe sein Keyboard zu seinem Gesangsvortrag malträtierte.
„Deutschland, Achtung Baustelle!“ heißt das Programm der Stockheimer. Was da alles auszubessern und aufzubauen wäre, das verkündeten sie Schlag auf Schlag. Die Abkürzung SPD wurde als Senioren-Party-Disco enträtselt, Angela Merkel, einst Kohls Mädchen, sei jetzt die, die uns verkohlt. Die AFD wurde als Sammlung der Ewig-Gestrigen entlarvt, unfähige Politiker seien selig als „die Armen im Geiste, denn ihrer ist das Ministeramt“. Deutschland habe gute Schauspieler, die schlecht bezahlt werden; dagegen habe Deutschland schlechte Politiker, die top verdienen. „Wir Deutsche lernen scheint?s nichts dazu“, sang Edgar, der Sahra Wagenknecht schon als nächste Kanzlerin sieht, und bedauerte den deutschen Wähler, der in unserer postfaktischen Zeit nicht mehr weiß, wen er wählen soll.
Öko-Rummel und E-Auto
Das Thema soziale Ungerechtigkeit machte Edgar fest an den Einkünften von Rentnern einerseits und Menschen wie VW-Manager Winterkorn oder den Ruhebezügen des ehemaligen Verfassungsschützers Maaßen andererseits. Mit einem Blick auf Alltagsbanalitäten ging es nach der Pause weiter, etwa mit dem Thema Tierliebe, die groteske Blüten treibt. Oder dem Hype um Ikea-Möbel (mitreißend in einem Song von Edgar persifliert); oder mit dem Öko-Rummel, besonders um das E-Auto (unter lebhafter Einbeziehung des Publikums) und den Betrügereien der von der Politik geschützten deutschen Autoindustrie. Merkel = „Patrona Vehiculae“, stellte Edgar mit etwas fragwürdigem Latein fest.
Mit einem Schluss-Song verabschiedeten sich Irmi und Edgar: „Wir hoffen es hat Spaß gemacht“, sie hatten aber auch noch zwei Zugaben parat. Der lange und begeisterte Beifall am Ende sprach eindeutig für sich und für die beiden Kabarettisten. Die Besucher hatten in intimer Atmosphäre einen großen Abend erlebt. Fazit: Es muss nicht immer „Ottis Schlachthof“ sein. Edgar und Irmi waren sowieso der Meinung, die Sendung sollte besser „Ottis Schlachtschüssel“ heißen, nicht unpassend, wenn man den Leibesumfang von Ottfried Fischer betrachtet.