Buschig nennt man wohl solche Augenbrauen. Wie ein Baldachin schützen sie die großen, runden, klaren Augen dieses Mannes. Die strahlen von einem hellwachen Geist, der durch ein langes Leben hindurch nicht abgenommen hat. Und sie leuchten vor Glück, wenn sie an die vielen erfüllten Jahre zurückdenken, die ihnen vergönnt waren.
„Hier wehen musische Winde“, sagt Professor Gerhard Böttger. Hölderlin ist durch den Milzgrund spaziert, Schillers Muse Charlotte von Stein hat hier gelebt. Es ist der richtige Ort für einen Lebensabend, wie ihn sich Gerhard Böttger gewünscht hat. Draußen wehen tatsächlich die Winde, die über die Blumen im Garten streichen und über die Mähnen der Pferde, die Tochter Cosima gehören.
Drinnen aber, im so genannten Oberen Schloss von Irmelshausen unweit der Ortskirche, weht der Geist der Erinnerung an den Antilopen-Köpfen vorbei, den afrikanischen Holzskulpturen, an den Putten und Heiligenfiguren, Porzellan-Sammlungen, Wandteppichen, den Biedermeier-Tischen und anderen Sammlerstücken der Familie Böttger aus einem erfüllten Leben. Das 19. Jahrhundert und die Tier- und Mythenwelt Afrikas verbinden sich zu einer seltsamen Einheit, und das in der Weltabgeschiedenheit des Milzgrundes.
„Ich war sofort hellauf begeistert“, erzählt Gerhard Böttger von seiner ersten Begegnung mit dem schwarzen Kontinent. Eigentlich war es eher das ornithologische Interesse, das ihn mit seiner Frau Brigitte nach Afrika führte, sofort nach seiner Pensionierung als Chefarzt des Leopoldina-Krankenhauses. Nach ein paar Wochen stand die Entscheidung fest: Das Ehepaar Böttger wagte den Neuanfang in Namibia. „Hätten wir länger überlegt, wäre nie etwas draus geworden“, ist sich Böttger sicher.
Sie wurden Farmer. „Von der deutschen Wiedervereinigung haben wir praktisch nichts mitbekommen“, lacht Böttger. Nur einen russischen Militär-Jeep haben sie preiswert in Thüringen erstanden, er hat jahrelang gute Dienste geleistet in Namibia. Über 5000 Hektar groß war der Betrieb. „Das Farmgebäude war von Termiten verseucht. Wir mussten mit der Hilti erstmal Löcher ins Mauerwerk bohren und die Tiere vergiften.“ Schwerstarbeit also für die Chirurgenhände. „Aber es war schön, noch einmal etwas ganz Neues anzufangen“, sagt Böttger rückblickend. Es war auch ein paradiesischer Ort, an dem sich die Schweinfurter niedergelassen hatten, auf 1700 Meter Höhe, umringt von Bergen. „Otji Maburu“ hieß die Farm in der Sprache der Hereros. „Gegend des Gottesgefäßes“, heißt das übersetzt. „Wir lebten in der Schüssel Gottes“, schmunzelt Böttger.
„Zehn Jahre wollten wir bleiben – dann sind 20 Jahre daraus geworden“, sagt der Mediziner. „Aber es war eine wunderbare Zeit. Ich hatte einen hoch befriedigenden Beruf und in meinem Ruhestand eine so spannende Aufgabe“, blickt der Wahl-Irmelshäuser auf seine afrikanischen Jahre zurück.
Die waren aber auch nicht einfach. „Eine Farm muss sich auch wirtschaftlich rentieren“, sagt Böttger. Im Falle der Schüssel Gottes war das nicht leicht. Es mussten viele Brunnen gebohrt werden, oft 100 Meter tief, um Trinkwasser zu haben. Strom gab es auf der Farm nicht, er musste mit einem Generator erzeugt werden. Und 5000 Hektar sind bei dem trockenen Land keine gewaltige Fläche, um erfolgreich Rinder zu züchten. Deshalb erwies sich als sehr schwierig, später wurden Wild-Antilopen auf der eingezäunten Farm gehalten, die teils nach Südafrika exportiert wurden.
20 Jahre arbeitete das Ehepaar Böttger in Namibia, lernte Land und Leute schätzen. Aber schon im namibischen Hochland reiften die Pläne für einen zweiten Neuanfang nach dem Ruhestand. „In Gollmuthhausen hatten wir schon viele Jahre ein Wochenendhaus, in das wir uns nach einer arbeitsreichen Woche im Leopoldina-Krankenhaus zurückzogen. Selbst am Wochenende landeten viele Hubschrauber am Krankenhaus, neben dem wir wohnten. Wir brauchten ein Refugium“, erklärt Böttger.
In den Milzgrund gab es also schon lange Verbindungen. Und während Vater und Mutter in Namibia ihre Farm bewirtschafteten, etablierte Tochter Cosima Böttger eine Praxis für Reit-Therapie.
Passend zur geplanten Rückkehr aus Afrika stand in Irmelshausen das so genannte Obere Schloss zum Verkauf. Zuletzt war dort ein Hersteller von Hochdruckpumpen untergebracht. „Entsprechend sah der Scheunen- und Remisenbereich aus, hier wurde ja lange Jahre produziert“, erinnert sich Gerhard Böttger. Eine Heizung gab es keine, das ganze Gebäude war in einem sehr vernachlässigten Zustand. „Reißen sie das alte Zeug ein und bauen etwas Neues“, haben ihm Anwohner gesagt. Aber natürlich stand das Haus unter Denkmalschutz, 1703 wurde es als Bibrascher Besitz errichtet. „In diesem Haus hat sich auch viel Geschichte ereignet. Adelige haben hier gewohnt, verwitwete alte Damen, die hier ihren Lebensabend verbrachten. Dann kamen die Vertriebenen des Zweiten Weltkriegs, ein Unternehmen und jetzt wir.“
Vier Jahre arbeiteten die Böttgers an ihrem Alterssitz. „Ich hatte alle Fachleute vor Ort, spezialisierte Dachdecker, Maurer, die sich mit historischem Mauerwerk auskennen, es ist alles da“, freut sich der Chirurg, der nach dem Krieg aus dem Harz nach Würzburg zum Medizinstudium kam. „Wir wohnten als Studenten im Theaterkeller in Stockbetten“, erinnert sich der 85-Jährige an den schwierigen Start. Seine Leidenschaft für den Medizinerberuf wuchs während des Studiums um so mehr. Aber er verzichtete auf eine wissenschaftliche Karriere und führte 20 Jahre lang die Chirurgische Abteilung am Leopoldina.
Nun sitzt er im Wohnzimmer seines nach vierjähriger Arbeit zu einem wahren Wunder verwandelten Hauses. „Die Pläne für den Garten habe ich noch in Afrika gezeichnet“, sagt der Bauherr.
Von den roten Wänden hängen Engel, der Gekreuzigte, Ölgemälde. auf dem intarsienbesetzten Tisch stehen Kupfergefäße. Überall glänzt Zierrat vergangener Jahrhunderte. „Ich hätte gut und gerne im 19. Jahrhundert leben können“, schmunzelt Gerhard Böttger in seinem Irmelshäuser Alterssitz, seinem zweiten Neuanfang nach der Pensionierung.
Auf das Stichwort, dass wohl jedem Anfang ein Zauber innewohne, beginnt er das berühmte Stufen-Gedicht von Hermann Hesse frei zu rezitieren. „Wir sollten heiter Raum um Raum durchschreiten, an keinem wie an einer Heimat hängen“, deklamiert Böttger in den wunderschönen Raum. Und wieder strahlen seine Augen. Und er sagt: „Es war alles ein Geschenk bis hierher.“
Tag der offenen Gartentür
Das Obere Schloss in Irmelshausen, das die Familie Böttger in den letzten vier Jahren renoviert hat, ist auch zum Tag der offenen Gartentür im Milzgerund am Sonntag, 17. Juni, von 11 bis 17 Uhr zu besuchen. Im Innenhof des Anwesens aus dem Jahr 1703 wurde ein Garten mit Rosen und Buxbaum angelegt, dazu gehört auch ein Brunnen.
Es besteht auch die Möglichkeit, die Reit-Therapie von Cosima Böttger kennenzulernen. Die ehemalige Remise des Schlosses wurde zu einem Reitstall umfunktioniert. Das Therapeutische Reiten begegnet Verhaltens- und Bewegungsauffälligkeiten, stärkt unter anderem das Selbstvertrauen, verbessert die Motorik und fördert die Beziehungsfähigkeit.