Noch heute spricht Hilla Schütze voller Dankbarkeit von ihrer Großmutter. Denn sie verhalf ihr dazu, dass ein selten schönes Exemplar der weißen Pferde aus Sandberg heute ihre Spielzeugsammlung bereichert.
„1912 hat meine Großmutter ihrem Sohn, meinem Vater, eine Rhöner Kutsche mit Pferd gekauft. Zwei Weltkriege haben Kutsche und Pferd überstanden“, freut sich die leidenschaftliche Spielzeugsammlerin aus Bad Kissingen, die nicht müde wurde, immer wieder bei der Stadt einen Vorstoß für ein Spielzeugmuseum zu unternehmen.
Nach 24 Jahren wird der Traum nun Wirklichkeit. In der Oberen Saline im Bismarckmuseum entsteht auf 130 Quadratmetern ein Spielzeugmuseum, wie es in der Region keines gibt (wir berichteten). Bestückt wird das Museum mit Kinderbüchern und Spielzeug aus der Sammlung Schütze, zu der rund 7000 Objekte gehören. Mit der Eröffnung ist 2012 zu rechnen, denn noch gibt es viel Arbeit.
Nicht nur die Kissinger und ihre Gäste freuen sich auf dieses Museum, auch die Sandberger dürfen gespannt sein, denn in dem Rhöndorf ist ein Ableger des Kissinger Spielzeugmuseums geplant. Die Verbindung zwischen beiden Orten ist einfach: neben dem berühmten weißen Pferd wird viel Holzspielzeug aus der Rhön im Bad Kissinger Museum zu sehen sein.
Schütze auf Suche nach Herkunft
Aber lange Zeit hat Hilla Schütze gar nicht gewusst, woher dieses schöne Pferd stammt. Anfragen bei Fachleuten brachten sie nicht weiter, also machte sich Hilla Schütze selbst auf die Suche. Sie fuhr in die Rhön zu den Enkeln der ehemaligen Holzschnitzer, aber niemand konnte etwas mit dem weißen Pferd anfangen. Doch dann wurde sie fündig und konnte es nicht fassen: Das Pferd stammt aus Sandberg aus der Fabrikation von Friedrich Meinel.
Hilla Schütze betrachtet ein altes Foto, auf dem ihr Vater im Garten mit dieser Kutsche spielt. Sie ist aus Peddigrohr, das Pferd mit offenem Maul wurde aus Zitterpappelholz geschnitzt. Friedrich Meinels weißes Pferd wurde mehrfach mit Medaillen bei großen Ausstellungen ausgezeichnet. Umso verwunderlicher war es für Schütze, dass dieser Spielzeugfabrikant völlig in Vergessenheit geraten ist. Drei Jahrzehnte war Sandberg nach Schützes Recherchen ein Zentrum der Herstellung schönster Spielwaren. Doch nicht mal in der Ortschronik „300 Jahre Sandberg“ sei davon etwas erwähnt, ist Schütze erstaunt.
Friedrich Meinel kam 1877 aus Klingenthal im Erzgebirge nach Bad Kissingen und eröffnete hier die Musik-Instrumenten-Niederlage, Export en groß & en detail in der Ludwigstraße 65. Er heiratete Antonie Zapf, deren Vater 1874 in Bad Kissingen einen neuen Laden für Holz- und Galanteriewaren erbaut hatte. Diesen übergab er seinem Schwiegersohn.
Segen für die arme Rhön
Gleich nach Übernahme vergrößerte Meinel den Laden und gründete eine Holzschnitzschule in Sandberg. Dadurch kamen Sandberger Schnitzerfamilie zu Lohn und Brot. 1896 schrieb die Saale-Zeitung: „Die von Herrn Meinel 1877 ins Leben gerufene Industrie ist für die arme Rhön zum Segen geworden, mehr als 30 Arbeiter, darunter zahlreiche Familienväter sind ständig, theils in der Fabrik zu Sandberg, theils in der Hausindurstrie in Sandberg, Premich etc. beschäftigt, die Steinaspe, die „Linde der Rhön“ (heute Espe oder Zitterpappel) zu bearbeiten.“
1882 wird Meinel bei der 1. Bayerischen Landes-Industrie-Gewerbe- und Kunstausstellung in Nürnberg mit einer Großen Bronzenen Medaille für „eine reiche Sammlung preiswürdiger, in Holz geschnitzter Pferde zu Spielzeug bestimmt“ ausgezeichnet.
Friedrich Meinels Interesse richtet sich mehr und mehr auf die Spielwarenfabrikation. Er wirbt mit Kissinger Trachtenpuppen und weist auf die Fabrikation von „Natura weißen Holzpferden und sortierten Tieren“ hin. 1888 erhält er auf der Ausstellung in Brüssel eine Silber-Medaille. Sogar bis nach Amerika und auch China werden seine Spielwaren verschifft, hat Schütze herausgefunden.
1890, vier Jahre nach dem Tod seiner Frau Antonie, heiratet Friedrich Meinel Lina Schachenmayer. Aus dieser Ehe gehen Tochter und Sohn hervor.
In einem Jahresbericht der Handels- und Gewerbekammer Würzburg schreibt Friedrich Meinel 1897: „Die Kissinger Rohr- und Holzwarenindustrie nimmt von Jahr zu Jahr bedeutendere Dimensionen an...“ Die Arbeiter verdienen gut, heißt es in dem Bericht weiter. Allerdings ist man in jener Zeit dazu übergegangen, Aspen- und Lindenholz durch Fichten und Tannen zu ersetzen. Friedrich Meinel kauft eine Wiese bei Sandberg und pflanzt selbst Aspen und Linden an, was die Bauern aber gar nicht gerne sehen.
Nach dem Tod vergessen
Nach der Jahrhundertwende werden Meinels Sandberger Spielwaren erneut prämiert, und zwar bei der dritten und letzten großen Bayerischen Landes-Industrie-Gewerbe- und Kunstausstellung in Nürnberg 1906. Aber nur noch wenige Jahre sind dem Spielzeugfabrikanten vergönnt. 1911 stirbt Friedrich Meinel ganz überraschend. Seine Frau führt das Geschäft noch kurze Zeit weiter, aber schon 1913 führt eine Statistik in Sandberg nur noch sechs Holzschnitzer-Heimarbeiter auf. Friedrich Meinel versinkt in Vergessenheit.
Hilla Schützes Verdienst ist es, den Spielzeugfabrikanten der Rhön wieder entdeckt zu haben. Auf ihren verschiedenen Wegen traf sie denn auch auf weitere weiße Pferde. Eines entdeckte sie in einem Baseler Museum, ein anderes in Nürnberg. Ihre Informationen über die Herkunft des Pferdes wurden dort dankbar aufgenommen.
Bei einem Gang durch Münnerstadt stieß sie in einem Schaufenster ebenfalls auf ein weißes Pferd. Aber irgendetwas war an diesem Pferd anders, erzählte Schütze. Im Gespräch mit dem Restaurator wurde es klar: Der Unterkiefer war abgebrochen, der Restaurator hatte einen neuen angebracht, dabei aber das Maul des Pferdes geschlossen.