Sie tragen Namen wie „Dechant Giesberg's Goldpepping“ oder „Bunter Perdrigon“ und haben eines gemeinsam. Sie gelten als verschollen. Laien werden auf Anhieb wohl nicht erkennen, dass es sich hier um Äpfel und Zwetschgen handelt, die der Großwenkheimer Christian Schlembach sucht. Der 27 Jahre alte Gymnasiallehrer für Französisch und Spanisch im Gymnasium in Meinigen sammelt Obstsorten wie andere Leute Bierkrüge oder Schallplatten.
Sorten aus dem Baumschulkatalog
Schlembach geht es auch um seltene und alte Sorten, wie sie in dem Katalog der ehemals in Sulzfeld ansässigen „von Beulwitzsche Baumschule und Apfelwein-Kelterei“ aufgeführt werden. Deshalb ist er Mitglied im Pomologenverein und dem Erhalter-Netzwerk Obstsortenvielfalt.
Die bundesweit gut 60 Mitglieder des Netzwerkes tauschen seltene Sorten untereinander aus, um deren Überleben sicherzustellen. Aktuell hat er rund 100 Edelreißer von Apfel-und Birnensorten vom Bodensee bestellt, die vom Aussterben bedroht sind. Mit den Reißern veredelt er dann seine Bäume, sodass an manchen gleich mehrere Sorten gleichzeitig wachsen.
Wer hat eine Herrenhäuser Mirabelle?
Besonderes Interesse haben Schlembach und der Verein an der Frankfurter Pfirsichpflaume, der Herrenhäuser Mirabelle, der Muskateller Pflaume und den beiden zu Anfang erwähnten Sorten, wobei es sich beim Goldpepping um eine Apfel- und bei Bunter Perdrigon um eine Zwetschgensorte handelt. Die Auszüge aus dem Katalog hat er vom Sulzfelder Dorfchronisten Gerwin Solf erhalten, der aber keine weitergehenden Informationen zur Geschichte der Baumschule hat.
Der Obstexperte hofft nun, dass sich auf diesen Artikel Gartenbesitzer bei ihm melden, die noch einen Baum mit diesen Früchten haben. Das Problem dabei: Längst nicht jeder weiß, was genau in seinem Garten oder in der Streuobstwiese steht. Außerdem geht das Interesse an Obstsorten zunehmend verloren und damit auch das Wissen.
Dafür verfügt Schlembach in seinen jungen Jahren über Fachkenntnisse, die den unbedarften Obstkonsumenten in Erstaunen versetzen. In seinen auf sieben ehemalige Ackerflächen in Klein- und Großwenkheim verteilten Streuobstbeständen wachsen 280 Apfel-, 70 Birn- und 30 Zwetschgensorten inklusive Mirabellen und Renekloden. Dazu kommen noch 30 regionale Quittensorten.
Ein Apfel aus Russland
Zu jeder einzelnen weiß Schlembach eine Menge Einzelheiten, was Geschmack, Aussehen, Lagerbarkeit oder Herkunft betrifft. Natürlich finden sich auch Exoten darunter, wie ein Apfel namens Roter Mond, der 1915 in Russland kreiert wurde, aber nichts mit der Oktoberrevolution zu tun hat, die dem Land zwei Jahre später den Kommunismus brachte. Tatsächlich schimmern die Kerne und das Fruchtfleisch rot, wie ein Schnitt durch eine der Früchte belegt. Eine Geschmacksprobe schien allerdings nicht ratsam angesichts des noch geringen Reifegrades in dieser Jahreszeit.
Auch nicht in jedem Garten findet man die Schweizer Hosenbirne, die ihren Namen von den gelb-grün-roten Streifen auf der Schale hat. Schlembachs Lieblingsapfel ist der Signe Tillisch aus Jütland, von dem der Hobby-Pomologe vermutet, dass er ein Abkömmling der auch hierzulande bekannten Sorte „Gravensteiner“ ist. Jedenfalls erfüllt der Signe Tillisch das Haus mit einem betörenden Apfelduft, wenn er reif und geerntet ist.
In den Obstschalen der meisten Verbraucher finden sich dagegen die gängigen Äpfel und Birnen aus dem Supermarkt. Für Schlembach sind das Gebilde, die zwar optisch ansprechend sind, aber qualitativ nicht mithalten können. „Ich ess keine gekauften Äpfel mehr“, schmunzelt der Großwenkheimer, der zur Erntezeit täglich bis zu zehn der Früchte verputzt, wie er verrät. Die Apfelsorten, die für die massenhafte Züchtung verwendet werden, seien meist sehr krankheitsanfällig, erklärt Schlembach, was dazu führe, dass eine Menge Spritzmittel eingesetzt werden müsse.
Mit dem Faible für besondere Sorten hatte Schlembach ein Nachbar infiziert, der selbst sehr viele Obstsorten besitzt.
Streuobstwiesen für den Steinkauz
Richtig losgelegt hat er aber vor einigen Jahren im Zusammenhang mit einem Programm des Landschaftspflegeverbandes zur Rettung des Steinkauzes. Das seltene Federvieh braucht nämlich Streuobstwiesen als Lebensraum.
Dazu kam, dass seine Familie noch landwirtschaftliche Flächen besitzt. Die im Programm vorgeschriebenen Obstsorten, mit denen die Äcker bepflanzt werden sollten, entsprachen aber nicht Schlembachs Geschmack. Er steht mehr auf Sorten wie den Lavanttaler Bananenapfel oder den Roten Herbstkalvill mit Erdbeer- oder Himbeer-Aroma, der schon im 16. Jahrhundert bekannt war. Sogar eine eigene kleine Baumschule hat sich Schlembach in einem Garten angelegt.
Stellt sich noch die Frage, was er mit all dem Obst machen will, dass an seinen Bäumen wächst. Die meisten sind allerdings noch so jung, dass erst in ein paar Jahren mit größeren Ernteerträgen zu rechnen ist. Doch auch da hat er schon eine Idee: „Die lass ich dann bio-zertifizieren und mach Saft oder Schnaps draus“.