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MELLRICHSTADT
Der Kirche unter Dach und Putz geschaut
Steffen Standke
Steffen Standke
 |  aktualisiert: 03.12.2019 08:48 Uhr

Der Kriechgang, den die Sachverständigen für Holzschutz aus Benshausen hinter der Orgel der Mellrichstädter Stadtpfarrkirche fanden, war ziemlich eng. Doch er erfüllte seinen Zweck. Führte er doch zu den Stellen unterm Kirchendach, die die Experten von außen nicht begutachten konnten. Nächstes Frühjahr soll es neu gedeckt werden. Dafür liefen jüngst Untersuchungen. Sie förderten Überraschendes zutage.

Alte Ziegel runter, neue drauf – ganz so einfach läuft es leider nicht. Ein so altes Gemäuer wie die Kirche St. Kilian birgt Unvorhergesehenes. Es könnte die Baustelle verzögern und teurer machen. Deswegen müssen Planer Dominik Wukowojac sowie die Bauarbeiter bis Frühjahr 2016 wissen, was sie im Dachstuhl erwartet.

Und so krochen ihm letzte Woche mehrere Experten unter die Haut. Allen voran die Holzschutzexperten der Firma Renhak aus Benshausen (Landkreis Schmalkalden-Meiningen). Sie wollten vor allem die Traufe sehen, also die Stellen, wo das Dachgebälk auf die Außenwände der Seitenschiffe trifft.

Wände im Weg

An diese Ecken kamen die Experten über den Dachstuhl oberhalb des Hauptschiffes nicht heran. Er ist zwar über den Kirchturm leicht erreichbar, jedoch versperren Wände den Weg zu den Traufen. Und auch von außen gelangten die Männer nicht an ihr Ziel. Zwar führten sie eine Hebebühne mit; aber die nutzte ihnen nichts. Dominik Wukowojac erklärt: „Die Arbeiter hätten zwar von außen die Dachziegel abbekommen. Aber wegen ihres maroden Zustands hätten sie diese kaum wieder reinbringen können.“ Deswegen die Kriechaktion im schmalen Gang.

Nach ersten Erkenntnissen scheint der Dachstuhl okay, „im Großen und Ganzen geordnet“, wie Wukowojac auf Anfrage mitteilt. Schimmel und bakterieller Befall hielten sich im Eichen-Gebälk in Grenzen. „Lediglich die Traufen an der Nordseite müssen erneuert werden“, so der Architekt.

Der Mellrichstädter hat diesen Erhaltungszustand eigentlich in etwa erwartet, vielleicht sogar etwas schlechter. Überrascht war er von der gut erhaltenen Lattung. Auf diesen Hölzern liegen die maroden Ziegel auf. Ihr erstaunlich stabiler Zustand lässt vermuten: Irgendwann vor Jahrzehnten wurden die Ziegel abgeräumt, die Lattung erneuert und die ausgebauten Ziegel neu eingesetzt.

Dominik Wukowojac weiß, dass das Dach in den 70er Jahren saniert wurde. Aber über Aufzeichnungen, die mehr Aufschluss geben könnten, verfügt er nicht. Derlei Dokumente sind verschwunden. Aber vielleicht hält das Archiv der Diözese Würzburg Antworten bereit.

Hier kommt ein weiterer Experte ins Spiel: Restaurator Martin Straus aus Bad Bocklet. Er sah sich vergangene Woche die Fassade der Stadtpfarrkirche genauer an.

Für die Dachsanierung wird nächstes Jahr außen ein Gerüst aufgebaut. Das kostet einen fünfstelligen Eurobetrag. Da wäre es unsinnig und kostspielig, das Gestänge noch einmal zu errichten, um eventuell maroden Putz auszubessern oder ganz zu erneuern. Außerdem soll die Kirche außen gestrichen werden. Das könnte in einem Ruck passieren.

Doch das ist Zukunftsmusik. Martin Straus hat noch keine Ergebnisse parat, will die Fassade in den nächsten Tagen noch einmal prüfen. Und er will im Archiv die Baugeschichte von St. Kilian erforschen.

370 000 Euro veranschlagt Dominik Wukowojac für die Dachsanierung der Stadtpfarrkirche. Und er bleibt optimistisch, diese Summe halten zu können, trotz der teuren Voruntersuchungen. Denn in seinem Leistungsverzeichnis hatte er bisher den Posten „Entfernen und Neubestücken mit Lattung“ vorgesehen. Das dürfte nach den neuesten Erkenntnissen wohl entfallen.

Im Januar sollen die ersten Gewerke ausgeschrieben werden. Im Frühjahr könnten die Arbeiten am Dach beginnen. Bis dahin erhofft sich Architekt Wukowojac noch mehr Erkenntnisse von den Experten. Vor allem, was die Baugeschichte der Kirche angeht. „Das wäre wichtig für die Innensanierung, die in sieben bis neun Jahren ansteht.“

In diesem Zusammenhang wird auch das Alter des Dachstuhls insgesamt dendrochronologisch bestimmt. Dabei werden die Jahresringe der für die Balken verwendeten Stämme unter die Lupe genommen.

Bauliche Rätsel

Martin Straus klopft auch den Putz oberhalb der Fenster etwas auf und schaut, was drunter ist. Dann löst sich vielleicht ein weiteres Rätsel, das Wukowojac umtreibt: Die Taufkapelle trägt einen gotischen Fensterbogen. Das Hauptschiff hingegen kennzeichnen barocke, also weit jüngere Fenster.

Eine Erklärung dafür hat der Architekt nicht, müssten doch alle Fenster aus derselben Bauepoche stammen. Vielleicht wurden die Fenster im Hauptschiff später barock umgebaut – eine Frage, der er auf den Grund gehen will.

Und noch etwas anderes ist merkwürdig: Die Wände der beiden Seitenschiffe schneiden jeweils barocke Fenster im Hauptbau. Baustilistisch zeichnete sich der Barock durch ausgeprägte Symmetrie und eine strenge Reihung der Fenster mit genau festgelegten Abständen aus. Um dieses Ziel zu erreichen, missachtete und überbaute man gerne frühere Strukturen. Mussten die barocken Fenster im Hauptschiff also genau dahin, wo die Seitenkapellen angrenzen, weil die Symmetrie es vorgab? Diese Erklärung taugt nicht für St. Kilian, sagt Wukowojac. Denn die Fenster weisen nicht die genormten Abstände auf.

Dem Kirchendach ganz nahe: Restaurator Martin Straus prüfte jüngst auf der Hebebühne die Außenhaut der Stadtpfarrkirche in Mellrichstadt. Eventuell muss neben dem Dach auch die Fassade von St. Kilian erneuert werden.
Foto: Eckhard Heise | Dem Kirchendach ganz nahe: Restaurator Martin Straus prüfte jüngst auf der Hebebühne die Außenhaut der Stadtpfarrkirche in Mellrichstadt. Eventuell muss neben dem Dach auch die Fassade von St. Kilian erneuert werden.
Auf den Putz gehauen: Martin Straus testete die Festigkeit des Materials am Hauptschiff. Vielleicht liefert das neue Erkenntnisse. Denn über die Kirchengeschichte ist wenig bekannt.
Foto: Eckhard Heise | Auf den Putz gehauen: Martin Straus testete die Festigkeit des Materials am Hauptschiff. Vielleicht liefert das neue Erkenntnisse. Denn über die Kirchengeschichte ist wenig bekannt.
 
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