"Weil mein Vater Bäcker war, war es klar, dass ich auch das Bäckerhandwerk lernen werde." Von Anfang an sei sein Berufsweg klar vorgezeichnet gewesen, sagte Roman Ruß schmunzelnd. Nur den Ausspruch seiner Großmutter "lern Bäck, dann hast du immer was zu essen", könne er so nicht bestätigen. Denn als Lehrlinge hätten sie gerne die Überbleibsel der Backwaren mal gegessen. Doch das strenge Regiment der Bäckermeister duldete dies nicht. Die Reste wurden wieder mit dem Mehl vermischt und weiterverwendet.
Roman Ruß, im Herzen immer noch Bäckermeister, in der Realität Rentner und begabter Holzschnitzer, wird am Samstag, 2. April, 90 Jahre alt. Bei bester Gesundheit. "Ich bin immer noch fit. Nur mit dem Laufen klappt es nicht mehr so gut. Man merkt halt das Alter", sagt er lachend. Roman Ruß lebt seit den 80-er Jahren in Hohenroth in seinem eigenen Haus und versorgt sich immer noch selbst. Bis Anfang der 90-er Jahre führte er jedoch seine weit in der Region für gute Backwaren bekannte Bäckerei in der Roßmarktstraße von Bad Neustadt, ehe er sie an seinen Sohn Helmut übergab.
Roman Ruß wurde am 2. April 1932 in Schönfeld/Böhmen geboren. Er besuchte dort die Schule, bis er 1946 mit seiner Familie vertrieben wurde. Mit dem ersten Transport kam er nach Klostermansfeld in Sachsen, dort ging er weiter zur Schule und lernte anschließend den Beruf des Bäckers. Bis zum Ende seiner Lehre in den 1950-er Jahren blieb er dort, wollte jedoch anschließend zum Rest seiner Familie übersiedeln, die inzwischen in Wargolshausen eine Heimat gefunden hatte. Da zwischenzeitlich die DDR eine gut bewachte Grenze zwischen den beiden deutschen Staaten errichtet hatte, war dies jedoch nicht so einfach möglich und legal hatte Roman Ruß keine Möglichkeit, hierher zu kommen. So beauftragten seine Großeltern in Wargolshausen einen Schleuser, um ihren Enkel über die Grenze zu bringen.
Die Ehefrau beim Tanzen kennengelernt
Noch heute erinnert sich der Senior an die gefährliche Aktion. Über Bahra im Zickzack-Kurs, die Hunde und schussbereite Grenzer im Nacken, gelangte er schließlich nach Wargolshausen. "Ich hatte große Angst." Die erste Arbeit fand er in Bad Neustadt im Café Elbert, wo ein Jahr als Volontär arbeitete. Über einige Kontakte gelangte er nach Neuendorf am Main, wo er seine erste Arbeitsstelle als Bäcker antrat. Dort lernte er beim Tanzen seine Ehefrau Hilaria kennen, die er 1954 heiratete. Drei Kinder wurden geboren. Sigrid, die bereits 2006 starb, Helmut, der die Bäckerei übernahm und 1972 Alexandra.
Als seine Tante Gretel, die in der Zwiebelgasse von Bad Neustadt ein Lebensmittelgeschäft betrieb, erfuhr, dass die Bäckerei Bader in der Roßmarktstraße einen Nachfolger suchte, lotste sie ihren Neffen Roman mit seiner ganzen Familie nach Bad Neustadt. Roman Ruß durfte die Bäckerei übernehmen, musste aber innerhalb von zwei Jahren seinen Meister im Bäckerhandwerk machen. Was er auch tat. 1972 lief die Pacht der Bäckerei ab und der Bäckermeister kaufte das Haus. Mit seinen guten Backwaren und seiner freundlichen Art schuf sich Roman Ruß seine Stammkundschaft, die der Bäckerei bis heute treu bleibt. Denn in den 90-er Jahren übergab er sein Geschäft seinem Sohn Helmut, der auch gleichzeitig die Kundschaft mit übernahm. Roman Ruß half jedoch weiterhin aus, wenn Not am Mann war. Er übernahm gemeinsam mit seiner Frau Hilaria den täglichen Schulverkauf, bis 2015. In diesem Jahr verstarb seine Ehefrau.
Bis vor zwei Jahren der älteste aktive Schütze im Verein
Jetzt pflegt der Senior gerne seine vielfältigen Hobbys in seinem Haus in Hohenroth, das er seit den 80-er Jahren bewohnt und wo er sich wohlfühlt. Da wären an erster Stelle das Holzschnitzen, was ihm sehr viel Freude bereitet. "Nur die Feinmotorik lässt inzwischen zu wünschen übrig", sagt er verschmitzt. Danach kommt sofort das Schießen im Schützenverein Bad Neustadt seit 1966. Er war bis vor zwei Jahren der älteste aktive Schütze in der Saalestadt. Ein anderes geliebtes Hobby von ihm ist das Kochen. Da er sich noch selbst versorgt, bevorzugt er Gerichte aus dem Sudetenland. Und dann schaut Roman Ruß auch gerne Fernsehen, wo er sich täglich in den Nachrichten über die neuesten politischen Ereignisse informiert.
Seine Tochter Alexandra besucht ihn jeden Tag, schaut nach dem Rechten in der Wohnung und kauft für ihn ein. Samstags ist dann der Tag, an dem Sohn Helmut den Vater nach Bad Neustadt holt. Dort führt der erste Weg zum Bad Neustädter Stadtfriedhof, wo seine Frau Hilaria und seine Tochter Sigrid begraben sind. Roman Ruß fährt kein Auto mehr. Er hat sein Fahrzeug auf Wunsch seiner Kinder abgemeldet. Er fühlt sich zwar geistig und körperlich fit, aber nur seinem Alter entsprechend. "Mit 90 ist man nicht mehr so beweglich, wie man es zum Autofahren sein muss", sagt er. Aber er hat ja seine beiden Kinder, die ihn jederzeit holen und zu seinem Wunschort fahren. Und genauso wichtig für ihn und für die Kinder ist das täglich Gute-Nacht-Telefongespräch mit seiner Tochter Alexandra, die in Burglauer wohnt. Wenn Punkt 21.30 Uhr das Telefon läutet, wissen sie, "alles ist in Ordnung. Dem Papa geht es gut".