Die „Spur der Steine“, Erik Neutschs Erfolgsroman – oder gar dessen Filmadaption von Frank Beyer aus dem Jahr 1966 –, heutzutage als Theaterstück zu inszenieren ist ein heikles Unterfangen. Eine Koproduktion von Meininger und Eisenacher Theater und der Meininger Bürgerbühne wagte es dennoch.
Das Projekt von Regisseurin Gabriela Gillert ist vor allem deshalb ein heikles Unterfangen, weil sich bei vielen Menschen, die die Geschichte zumindest vom Film her kennen, etwas Unauslöschliches in der Erinnerung festgesetzt hat: Die einprägsame Typencharakterisierung des anarchistischen, sich seiner Stärken gleichwohl bewussten Zimmermanns und Brigadeleiters Balla durch Manfred Krug und seines idealistischen, parteitreuen Gegenspielers Horrath durch Eberhard Esche (dessen Schauspielkarriere übrigens in Meiningen begann).
Die politische Dimension
Solch unauslöschliche Prägungen sind nicht selten Folge von Filmkunstwerken, die Kultstatus erlangten, weil sich hervorragende Schauspieler, ein bestechendes Drehbuch, eine einzigartige Dramaturgie und ein authentisch wirkendes Bild der Zeit zu einem großen Ganzen zusammenfügten. Im Fall von Beyers Film kam noch eine politische Dimension dazu: Er wurde kurz nach der Uraufführung verboten, weil er mächtigen Parteibonzen nicht in den Kram passte, die ihr starres Bild des Proletariers und des sozialistischen Funktionärs verunglimpft sahen.
Die Frage also, die sich ein solcherart geprägtes Publikum heute stellt: Warum jetzt ein Aufguss dieser einzigartig inszenierten Geschichte? Gut, wenn Freunde des Amateurtheaters anhand der Vorlage ihre eigene Biografie auf der Bühne lebendig werden lassen wollen, ist das ein nachvollziehbares Motiv. So geschehen bei der Adaption des DDR-Kultfilm „Paul und Paula“ durch die Meininger Bürgerbühne. So nun angedeutet in einem Filmvorspann zum Theaterstück, mit lose an die Geschichte gehefteten Interviews Meininger Zeitzeugen, die von ihren Arbeitsverhältnissen in den 1960er-Jahren erzählen. – Aber das Ganze als professionelles Projekt, in dem nur Balas handlungsreiche aber wortarme Brigade aus Laienspielern besteht?
Expedition in Mentalitäten
Für Theaterbesucher, die die „Spur der Steine“ nicht kennen, ergibt sich allerdings ein anderes Bild. Für sie kommt die Handlung einer Zeitreise in ein unbekanntes Land lange vor unserer Zeit gleich. Oder einer Expedition in Mentalitäten, die wir nicht mehr oder höchstenfalls vom Hörensagen kennen. Das kann auch heute noch Erkenntnisse befördern, so, zum Beispiel, die, wie schwer es unangepassten aber leistungsbewussten Menschen in einem Heer von Bürokraten und Opportunisten haben, die auf individuelle Stärken der Anderen mit Neid und Missgunst reagieren und mit Ignoranz strafen. Oder, wie ein kleinbürgerlicher und kleinmütiger Staatsapparat sich selbst und dem Gedeihen der Gesellschaft ein Bein stellt.
Spannender Aufbau
Dramaturgisch und szenisch ist die Handlung durchaus spannend aufgebaut. Das überraschend wandelbare Bühnenbild von Helge Ullmann eröffnet gleichermaßen Industrieatmosphäre und persönliche Nischenstimmung. Auch an den schauspielerischen Leistungen gibt es nichts zu mäkeln. Peter Liebaug als Balla, Yannick Fischer als Horrath, Meret Engelhardt als Ingenieurin Katie Klee, Gideon Maoz und Fridtjof Matti Bundel als Funktionäre geben glaubwürdige Charaktere. Und die Laienspieler von Ballas Zimmermannsbrigade hämmern und hacken sich gut choreografiert durch die Handlung. Trotz alledem bleibt ein leiser Zweifel darüber, was von diesem Abend bleibt – außer der der skeptischen Erinnerung an den fundamentalen Widerspruch zwischen Idee und Wirklichkeit im sozialistischen Alltag und ehrenwerte sentimentale Gedanken an ein Stück DDR-Literatur- und Filmgeschichte.
Nächste Vorstellungen: 29. Mai und 7. Juni, jeweils 20 Uhr. Kartentelefon,Tel. (0 36 93) 45 12 22. www.meininger-staatstheater.de