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Den Mutigen gehört die Welt
Ab ins Ausland: Ehemalige Abiturienten aus Rhön-Grabfeld leben heute in aller Welt – Sechs Erzählungen
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Von unserem Redaktionsmitglied Susanne Popp
 |  aktualisiert: 11.12.2019 20:18 Uhr

 

Kriminalpsychologin in London, Marketingverantwortliche in Südamerika oder Schäferin in Australien: Ehemalige Abiturienten aus Rhön-Grabfeld zieht es längst nicht mehr nur in die nächstgelegenen Universitätsstädte. Einige kehren der Heimat nach dem Schulabschluss den Rücken, leben in Afrika, Asien oder Amerika. Welche Erfahrungen machen die Rhöner in aller Welt? Kurzporträts aus sechs Erdteilen.

 

Asien:

Manchmal scheint Klischees ein Körnchen Wahrheit innezuwohnen: Ist der Rhöner bisweilen als kauzig verrufen, sollen Asiaten ausnehmend freundlich sein. Nicht anders erlebte es Christopher Anschütz. Der gebürtige Schweinfurter studierte und arbeitete drei Jahre in Bangkok. Nach dem Abitur 2002 in Mellrichstadt zog es ihn zunächst an die European Business School nach Oestricht-Winkel. Statt Wall-Street-Wohlstand lockte dann das Abenteuer Asien. 2007 kam er in Bangkok an, war beeindruckt vom asiatischen Großstadtflair und den unglaublich niedrigen Lebenshaltungskosten. Gleichzeitig lernte der Mellrichstädter die stabilen staatlichen Verhältnisse in Deutschland schätzen. Putschversuche, Proteste und Flutkatastrophen kannte der 28-Jährige vorher nur aus dem Fernsehen, in Asien war er plötzlich mitten drin. Trotzdem sagt Anschütz: „Ich könnte mir problemlos vorstellen wieder in Bangkok, Hongkong oder auch Singapur zu arbeiten.“

 

Nordamerika:

Von Neustadt nach Toronto: Bernhard Ganss arbeitet seit 1993 in Kanada. In der multikulturellen Atmosphäre der Hauptstadt ist der geruhsame Rhöner Lebensstil weit entfernt, der Alltag deutlich hektischer als in der Saalestadt. Dafür gibt es in den umliegenden Nationalparks die Gelegenheit, tatsächlich noch fast unberührte Natur zu erleben. „Es ist ohne Weiteres möglich, zwei Wochen in die Wildnis zu verschwinden, ohne einem Menschen zu begegnen“, sagt Ganss. Bären seien dagegen häufiger anzutreffen.

Der promovierte Mediziner fühlt sich nach fast 20 Jahren in Nordamerika heimisch, will frühestens als Rentner nach Rhön-Grabfeld zurückkehren. Warum? Weil ihm Familie, Freunde und „ganz besonders deutsches Brot in seiner Vielfalt“ zum Frühstück doch manchmal fehlen.

 

Australien:

„Weihnachten ohne Familie bei 32 Grad am Strand, das war schon komisch“, sagt Sophie Dinglinger. Nach dem Abitur 2011 hatte die junge Mellrichstädterin „das Gefühl, vielleicht etwas zu verpassen“ und flog Anfang Dezember nach Melbourne. Als Helferin auf Tierfarmen, bei der Orangenernte oder als Fish- & Chips-Verkäuferin finanziert sie sich ihr Leben in Australien. Entlang der Great Ocean Road reiste sie nach Adelaide, dann über Tasmanien nach Sydney. „Ich habe von Australien schon jetzt mehr gesehen als von Deutschland“, sagt Dinglinger. Ab und an fehlt am anderen Ende der Welt aber doch die Rhöner Heimat, vor allem Familie, Freunde, das Klavier und die deutschen Bratwürste. Denn: „Das berühmte australische BBQ ist eine Enttäuschung.“ Weicher Toast, komisch schmeckende Würste, angebratene Zwiebeln und Ketchup können mit deftigen fränkischen Bratwürsten nicht mithalten. Zurück nach Mellrichstadt geht es für Sophie Dinglinger dennoch nur kurz; ihr Studium beginnt sie im Winter in den Niederlanden.

 

Südamerika:

Fünf, zehn oder auch fünfzehn Minuten zu spät zu einer wichtigen Verabredung – kein Problem. Im Gegensatz zu Deutschen lassen sich Brasilianer von der Uhr nicht stressen. „Die Mentalität der Menschen ist anders. Südamerikaner sind emotional, weniger kontrolliert und denken eher positiv. Das Leben wird hier mehr gelebt“, sagt Kathi Haid. Im Dezember 2010 flüchtete die gebürtige Bad Neustädterin vor dem deutschen Winter an die Strände Brasiliens. In Sao Paulo arbeitete sie zunächst in der Öffentlichkeitsabteilung der Außenhandelskammer, heute leitet sie das Marketing der Firma ZF. Der Job macht Spaß, die gemeinschaftliche Lebensart der Brasilianer kommt ihr entgegen. Einziger Nachteil: „Ich hätte das nicht gedacht, aber ich vermisse die Natur“, sagt Haid. In der Großstadt ist die Luft schlecht, der Park winzig, da fühle man sich „wie ein Hamster im Rad“. Trotzdem kann sich die 28-Jährige eine Rückkehr noch nicht vorstellen. „Ich habe gelernt, niemals nie zu sagen. Aber: Ich habe bisher noch nicht daran gedacht, nach Hause zu fliegen.“

 

Afrika:

„Geduscht oder gebadet wird in Südafrika mit aufgekochtem Wasser in einer Metallwanne“, sagt Julia Ress. Seit September 2011 lebt sie in Kwa-Zulu Natal und arbeitet für die HIV/AIDS-Präventionskampagne loveLife. Der Alltag beginnt für die Mellrichstädterin früh am Morgen: In umliegenden Schulen unterstützt sie die Lehrkräfte beim Unterrichten, am Nachmittag organisiert sie Sport- oder Computerkurse im Jugendzentrum. Abends, nach Einbruch der Dunkelheit, verlässt in der ländlichen Gegend dann niemand mehr das Haus. Ausgehen wie in der Heimat sei kaum möglich. „Es fällt mir schwer, Freunden und Familie ein angemessenes Bild von Südafrika zu geben“, sagt Ress. Die beeindruckendsten Erlebnisse seien „oft schwer in kurze Worte zu fassen“. So lernte die 18-Jährige beispielsweise einen immer gefüllten Kühlschrank, nach Fahrplan fahrende Verkehrsmittel und das deutsche Schulsystem erst im Ausland zu schätzen.

 

Europa:

Ob Sherlock Holmes oder Miss Marple – zumindest in der Belletristik ist Großbritannien das Land der großen Kriminalisten. Seit 2010 studiert Carmen Kohl dort, in London, Forensische Psychologie – natürlich nicht aufgrund der fiktiven Kollegen. Die Heimat nach dem Abitur am Martin-Pollich-Gymnasium zu verlassen fiel ihr nicht schwer: „Der Reiz war, etwas Neues zu erleben“, sagt Kohl. Deshalb zog sie vor zwei Jahren nach High Wycombe nahe der englischen Hauptstadt. Der Alltag dort verläuft typisch britisch, die Leute sind höflich und Tee wird als festes Nachmittagsritual zelebriert. Und: „In 30 Minuten bin ich mitten in London; da gibt es einfach viel mehr Möglichkeiten als in Mellrichstadt.“ Selbst wenn im Dauerregen das Umfeld zuhause ab und an fehlt und die britische Küche, abgesehen von Cupcakes und Cookies, nicht mit deutschen Gerichten mithalten kann, zurückkehren will die 23-Jährige vorerst nicht. „Für einige Jahre bleibe ich sicher noch in England, danach gehe ich dorthin, wo ich Arbeit finde.“

 
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