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MELLRICHSTADT
Das Unmenschliche kann sich wenden
Blumen und Applaus zum Dank nehmen die Akteure von METTheater für ihre Aufführung von „Lampedusa“ entgegen. Von links:  Lena Hegel, Ute Graf (Souffleuse), David Henkes, Michael Graf, Heike Hartmann, Ralf Hartmann, Natalie Heier (Maske), Ibrahim Mohamed Ali, Stefan Heier.
Foto: Fred Rautenberg | Blumen und Applaus zum Dank nehmen die Akteure von METTheater für ihre Aufführung von „Lampedusa“ entgegen.
Fred Rautenberg
 |  aktualisiert: 03.12.2019 09:23 Uhr

Es gibt Regisseure, die beherrschen die „Kunst“, die Aussage eines Theaterstücks in ihr genaues Gegenteil zu verkehren. Michael Graf von Mellrichstadts Amateurtruppe METTheater gehört nicht dazu.

Er hat das Stück „Lampedusa“ des britischen Autors Anders Lustgarten in Mellrichstadts „Raum 7“ wohltuenderweise so inszeniert, wie es vom Autor intendiert ist: als ein Aufschrei der Mitmenschlichkeit, eine schmerzerfüllte Anklage gegen das Grauen, dass sich seit Jahren im Mittelmeer abspielt, ein Protest gegen das Sterben von Menschen, die von habgierigen Verbrechern der tödlichen Bedrohung ausgesetzt werden, ein wütender Vorwurf gegen europäische Entscheidungsträger, die unfähig sind, dem Elend ein Ende zu bereiten.

Dies ist der eine Aspekt dieses Stücks. Doch Graf hat mit gleicher Intensität auch den zweiten herausgearbeitet: die Anklage gegen die Schaudern machende Eiseskälte, mit der Wucherer die Not der Ärmsten ausnutzen, die Praxis der Behörden, die nur ihren Vorschriften gehorchen und dabei die Mitmenschlichkeit, das Erbarmen für die Schwächsten aus den Augen verloren haben.

Das Nicht-Darstellbare

Am vergangenen Freitagabend fand nun im großen Saal von „Raum 7“ die Premiere statt. Wie kann man auf der Bühne das Nicht-Darstellbare doch noch darstellen, zumal auf einer schlichten Saalbühne?

Der Autor hat für beide Aspekte je einen Protagonisten geschaffen: den Fischer Stefano von Lampedusa und die Studentin Denise in einer englischen Großstadt. Beide erzählen von ihren Erfahrungen und machen dadurch das Elend wieder gegenwärtig. Stefano erzählt mit drastischer Anschaulichkeit von seinem Job als Fischer von Flüchtlingsleichen, Denise von ihrer Arbeit als Schuldeneintreiberin einer Inkasso-Firma.

Beide Figuren machen einen Wandel durch. Anfangs scheinen sie sich mit ihrem Job zu identifizieren, sind kalt und distanziert, aber durch die Begegnung mit Menschen wie dem geflohenen Mechaniker Modibo aus Mali oder der Single-Mutter Carolina aus Portugal lernen sie Menschlichkeit und Freundschaft kennen, so dass ihre eigene Kälte aufgebrochen wird. Stefano rettet die Frau seines malischen Freunds, Denise zieht zu ihrer portugiesischen Freundin und gibt ihren herzlosen Beruf auf.

Analog werden die beiden Figuren auch mit ihrem persönlichen Hintergrund erhellt: Stefano hat den vertrauten Kollegen Salvatore und eine eigene Familie, Denise ist ihrer in Elend und Krankheit versinkenden Mutter in einer Art Hassliebe verbunden und kämpft als verachtete Halbchinesin und Studentin um ihre eigene Zukunft.

Beide Figuren sind geografisch weit getrennt voneinander, in ihren Lebenserfahrungen stehen sie sich aber sehr nahe. Sie teilen die Erfahrung des Verlusts von Mitmenschlichkeit, sie sind beide eingespannt in ein unmenschliches Geflecht von Umständen, für das letztlich eine vom Kapitalismus geprägte Weltordnung verantwortlich ist.

Und beide machen einen Bewusstseinswandel durch. Es war ein kluger, berührender Regieeinfall von Graf, seine beiden Protagonisten, die das ganze Stück hindurch trotz größter Bühnennähe konsequent keinen Kontakt aufgenommen haben, sich am Ende, wenn auch nur aus der Distanz heraus, anschauen zu lassen. Zeichen dafür, dass sich der eine im anderen wiedererkennt.

Profihafte Perfektion

Diese und viele andere Regieeinfälle setzten Heike und Ralf Hartmann konsequent und mit profihafter Perfektion um. Das Stück hat so gut wie keine Handlung, besteht nur aus einer Wechselkette von Monologen. Umso mehr kam es auf die Körpersprache der Schauspieler an, auf Mimik und Gestik. Dazu kam die große Variationsbreite des Vortrags ihrer riesigen Sprechtextmenge. Sparsame Bühnenrequisiten wie ein Boot, Schwimmwesten, Rettungsuniformen, ein Rettungsring; Mülltonnen, ein Stuhl, eine Stellwand, ein Infusionsständer deuteten den jeweiligen Handlungsort an.

Der Gefahr der Monotonie beugte Graf auch dadurch vor, dass er die Nebenfiguren zum größten Teil auftreten und nicht aus dem Off sprechen ließ: Stefan Heier zum Beispiel als herzlosen Arzt, David Henkes als Mitglied der Küstenwache, Ibrahim Mohamed Ali als Stefanos malischen Freund, Lena Hegel als Carolina. Ton und Licht waren bei den Möglichkeiten, die der große Saal von „Raum 7“ bot, angemessen. Nicht zu vergessen die Dokumentation mit Informationen über Lampedusa an der Rückwand des Saals.

So kam unter Grafs Regie eine überzeugende und betroffen machende Aufführung zustande, die mehr als nur ein Kommentar zu einem brennend berührenden Problem darstellt. Man fragt sich, wo der Unterschied zu einem Profitheater sein sollte.

Weitere Aufführungen: im „Raum 7“ in Mellrichstadt am 27. Nov. um 15 Uhr oder am 2. Dez. um 19.30 Uhr.

Überzeugende Bühnenpräsenz bewies Ralf Hartmann in seiner Hauptrolle als Stefano, der von seinen Erlebnissen beim Einsammeln der Wasserleichen im Mittelmeer erzählt.
Foto: Fred Rautenberg | Überzeugende Bühnenpräsenz bewies Ralf Hartmann in seiner Hauptrolle als Stefano, der von seinen Erlebnissen beim Einsammeln der Wasserleichen im Mittelmeer erzählt.
 
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