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MEININGEN
„Das Theater geht am Schluss zu Grunde“
Eine Art Heimatgefühl: Werner Schneyder vor seinem Meininger Domizil.
Foto: Siggi Seuss | Eine Art Heimatgefühl: Werner Schneyder vor seinem Meininger Domizil.
Das Gespräch führte Siggi Seuss
 |  aktualisiert: 07.01.2016 14:51 Uhr

Der österreichische Autor, Kabarettist, Regisseur und ehemalige Sportkommentator und Boxkampfrichter Werner Schneyder (76) ist kein Unbekannter in Meiningen. 1998 inszenierte er dort Arthur Schnitzlers Drama „Das weite Land“. Die von der Kritik gelobte Inszenierung wurde von der damaligen Intendantin Christine Mielitz nach nur sieben Vorstellungen aus dem Spielplan genommen, die Kulissen wurden vernichtet. Anlass für diese ungewöhnliche Maßnahme: Schneyder hatte in den einsamen Stunden nach der Tagesarbeit auf seiner Olympia-Reiseschreibmaschine ein Tagebuch-Manuskript seiner Eindrücke vom Aufenthalt in Meiningen und besonders von der Probenarbeit gefertigt und daraus ein Buch gemacht: „Meiningen oder Die Liebe und das Theater“. Einige der Meininger Schauspieler waren damals weniger begeistert. Sie sahen in der Veröffentlichung einen Vertrauensbruch. Schneyder selbst sagte damals im Interview mit unserer Zeitung, er könne sich nicht vorstellen, noch einmal in Meiningen zu inszenieren. Fünfzehn Jahre sind seither vergangen und der inzwischen 76 Jahre alte Künstler hat am Meininger Theater eben eine umjubelte Farce von Georges Feydeau auf die Bühne gebracht. Siggi Seuß sprach mit ihm über Veränderungen.

Frage: Was Sie damals über Ihre Zeit am Meininger Theater geschrieben haben, würden Sie das heute als Fehler betrachten?

Werner Schneyder: Nein. Nein-nein-nein-nein. Ich habe das auch schon in einem Interview gesagt: Zwei, drei Stellen hätte man genauer anschauen sollen. Da hätte ich das Lektorat drauf aufmerksam machen müssen, dass man das missverstehen kann. Das Buch ist in Schauspielerkreisen – jetzt sag' ich ein großes Wort gelassen – ein Klassiker. Dort liest man es als ein Buch über die Gedankengänge des Regisseurs Werner Schneyder - ein Buch außerhalb von Zeit und Raum. Es könnte auch heißen „Tübingen oder Die Liebe und das Theater“.

Damals haben Sie auf die Frage, ob Sie noch einmal in Meiningen inszenieren möchten, mit einem ziemlich kategorisch klingenden „Nö“ geantwortet.

Schneyder: Wenn ich irgendwo inszeniere, ist das für mich immer eine Folge menschlicher Begegnungen. So war es auch jetzt. Der Kontakt kam über die Bühnenbildnerin Monika Gora zustande, die bereits mehrfach mit mir zusammengearbeitet hat.

Also ist Meiningen als Ort eigentlich zweitrangig.

Schneyder: Ja, freilich. Es geht immer nur um die Theatersozietät. Ich spiele auch in der Wüste.

Können Sie sich vorstellen, hier noch einmal zu inszenieren?

Schneyder: Ja freilich.

Die Erinnerung an gemischte Gefühle spielt für Sie …

Schneyder: … überhaupt keine Rolle.

Trotzdem bleiben Vergleiche zwischen damals und heute ja nicht aus.

Schneyder: Aber nicht nur das Theater betreffend. Ich geh' über den Meininger Marktplatz und erinnere mich, dass man vor 15 Jahren gesagt hat, er würde verbaut. Und jetzt lese ich in der Zeitung, zwei Entwürfe würden diskutiert. Also hat man 15 Jahre gebraucht, vom Entschluss bis zu den Entwürfen. Ich muss sagen: Respekt!

Pflegen Sie Sentimentalitäten?

Schneyder: Allenfalls, was den Lebensraum Hotel betrifft. Der Direktor hat natürlich nachgesehen, welches Zimmer ich damals hatte. Und das hab' ich wieder. Mit der wunderschönen alten Einrichtung. Da kann ein Mensch, der ein Leben lang auf Tournee war, schon Heimatgefühle bekommen.

Heimatgefühle im Theater?

Schneyder: Schon insofern erfreuliche, weil das Theater ja mittlerweile renoviert worden ist. Ins Unbewusste dringt ein, dass alles frisch gestrichen ist. Und das legt sich natürlich auch über die Erinnerung, dass manches damals so abgewrackt aussah.

Und was ist mit den Menschen?

Schneyder: Ich weiß, worauf Sie hinauswollen. Es haben jetzt drei Leute mitgespielt, die schon damals dabei waren (Rosemarie Blumenstein, Ulrich Kunze, Michael Jeske; Anmerkung der Redaktion). Alle drei hab' ich mit Umarmungen begrüßt, mit allen drei war ich per du und alle drei haben sich gestern unglaublich gefreut über den Erfolg.

„Ich brülle“ - haben Sie damals in Ihrem Buch geschrieben. Und jetzt?

Schneyder: Es gab nicht ein lautes Wort.

Aber Sie brüllen schon noch?

Schneyder: Ja, wenn's drauf ankäme. Es gibt Regisseure, die halten es für ihr Profil erforderlich, mindestens einmal zu brüllen. Die brauchen einmal den großen Probenkrach, um zu zeigen, dass sie gefährlich sind.

Haben Sie wieder Ihre Reiseschreibmaschine Olympia im Gepäck?

Schneyder: Hab' ich mit. Hab ich immer mit. Hab' ich meine letzte Kolumne drauf geschrieben.

„Ich hab' diese Scheiße hier nicht nötig“, schrieben Sie 1998 in einem Augenblick des Zorns. - Ähnliche Gefühle heute?

Schneyder: Überhaupt nicht.

Sind Sie etwa altersmilde geworden?

Schneyder: Weiß Gott: nein. Wenn Sie mein Kabarettprogramm hören – da ist von Altersmilde überhaupt keine Rede. Aber ich bin natürlich älter geworden und am Theater versierter.

Damals fanden Sie es ziemlich umständlich, hierher zu kommen.

Schneyder: Meiningen ist – im Unterschied zu damals – inzwischen erreichbar.

Kann man Meiningen mit einem großen Theater in einer großen Stadt vergleichen?

Schneyder: Wenn ich mir die Spielpläne in den Städten anschaue, wird mir schwummelig. Da weiß man gar nicht mehr, was man am Abend machen soll, so groß ist das Angebot. Das ist der radikale Unterschied zwischen den Stadttheatern, die Zentren der Kultur sind – wie das Meininger – und Großstadttheatern. Da muss eine ganz andere Art der Beurteilung einsetzen.

Wenn man den Schrott sieht, den sich das Publikum vom privaten und vermehrt auch vom öffentlich-rechtlichen Fernsehen bieten lässt, bekommen Sie da Angst vor Zuschauererwartungen?

Schneyder: Da differenziert sich das Publikum total. Das Theater wird zur Rettungsinsel, zum seelischen Dampfbad.

Also wird das Theaterpublikum zu einer kleinen, radikalen, nicht mehr wegzudenkenden Minderheit?

Schneyder: Allein schon aus sozioökonomischen Gründen muss man um jeden Menschen kämpfen.

Sie sind ein Theateroptimist?

Schneyder: Das Theater überlebt die Welt. Das Theater geht am Schluss zu Grunde. Bevor die Menschen abkratzen, wollen sie sich noch einmal unterhalten.

Für Meiningen haben Sie damals das Szenarium entworfen, dass das Theater irgendwann nur noch für die Touristen lebt.

Schneyder: Ja, ich sag's ja: das Theaterwunder.

Aber wir wollen doch, dass die Meininger hier leben bleiben.

Aber das ist jetzt euer Problem. Das ist wirklich nicht meines.

 
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