Der Historiker und Autor Gerhard Schätzlein (76) aus dem Willmarser Ortsteil Filke beleuchtet mit seinem neuen Buch einen Absatz der Horrorgeschichte „Tausendjähriges Reich“, das zwölf Jahre dauerte. „Der Reichsarbeitsdienst in der Rhön von 1932 bis 1945“ lautet der Titel des 420 Seiten umfassenden Werks mit anschaulichen und lebendigen Beschreibungen, akribisch recherchierten Quelltexten sowie rund 1000 Abbildungen.
In seinem Reich steuerte ein Herr Hitler eine Maschinerie aus industriell organisiertem Mord an Juden und global initiiertem Krieg. Bis zum bitteren Ende, als nur noch Späne und Fetzen eines Schrotthaufens umherflogen. Zur Bilanz gehören mehr als 26 Millionen getötete Soldaten und über 29 Millionen tote Zivilisten.
Schätzlein wäre kein Historiker, stellte er besagte zwölf Jahre nicht in einen geschichtlichen Zusammenhang: „Was damals geschah, ist aus heutiger Sicht nicht zu verstehen. Also muss man sich ins Damals vertiefen.“ Deshalb beginnt Gerhard Schätzlein seine Ausführungen am Ende des Ersten Weltkriegs, als alle des Krieges überdrüssig waren und die Hoffnungen der Weimarer Republik wahrnahmen. Inflation und Wirtschaftsniedergang führten in Deutschland 1929 zur Gründung freiwilliger Arbeitsdienste. Ihr Ziel war die Überwindung von Arbeitslosigkeit.
Schuften für 50 Pfennig am Tag
Hauptsächlich Männer, Familienväter, arbeiteten gegen einen kärglichen Tageslohn von 50 Pfennig mit. Sie machten Land urbar, schufen kommunale Infrastruktur. Träger der freiwilligen Arbeitsdienste waren zum Beispiel Städte und Gemeinden, Kirchen, aber auch rechte Vereinigungen wie der „Stahlhelm“.
Nachdem sich Hitler 1933 an die Hebel der Macht gesetzt hatte, schaltete er gleich, baute die gesellschaftliche Produktivität Richtung Krieg um. Ein sechsmonatiger Arbeitsdienst, Reichsarbeitsdienst „R.A.D.“ genannt, wurde ab 1935 für Männer ab 18 Jahren zur Pflicht, für „deutsche Mädels“ und „Maiden“ ab dem Jahr 1939.
In der fränkischen, hessischen sowie thüringischen Rhön und ihren Ausläufern existierten mehr als 80 „R.A.D.“-Lager, in denen sich Menschen fern von ihren Familien auf gemeinnützige Tätigkeiten zu konzentrieren hatten. „Wir rüsten Leib und Seele“, lautete ein „R.A.D.“-Grundsatz. „ . . . und Seele“, hebt Schätzlein im Gespräch über sein Buch hervor.
Am Ellenbogen bei Oberweid entspringt die Streu, und dort hatte auch die Ausbildung von Arbeitsdienstführern ihren Ursprung: In Stahlhelm-Tradition entstand auf dem Berg dazu das erste R.A.D.-„Stammlager“. Von besonderem Bekanntheitsgrad war das „Hellmuthlager“ am Schwarzen Moor, dessen Tor-Ruine bis heute Touristen und Spaziergängern ins Auge fällt.
Mitte 1941 gaben Hitler und „R.A.D.“-Reichsführer Konstantin Hierl dem Reichsarbeitsdienst den Charakter einer Kupplung für den Krieg. Die Arbeit war zunehmend kriegslastig, was Personalversetzungen in die Normandie, nach Ostpreußen und zur Flugabwehr zur Folge hatte.
Antrieb der Rüstungsindustrie
Männer und Frauen mussten fortan ein Jahr lang Pionier- und Infrastrukturdienste im Zeichen von Aggression und Zerstörung leisten. 1943 machte Hitler überhaupt keine Umschweife mehr, der „R.A.D.“ wurde direkte Antriebswelle der Rüstungsindustrie.
Warum schrieb Gerhard Schätzlein das Buch? Er schlägt damit ein „bisher wenig bekanntes Kapitel der Geschichte der Rhön“ auf. Vor dem Hintergrund: „Wenn man seine Geschichte nicht kennt, kann man seine Zukunft nicht richtig gestalten.“ Schätzlein sieht sein Werk als argumentative Ausgangsbasis, um den Krieg an sich zu verurteilen. Den „R.A.D.“ betrachtet er als Rad einer Kriegsmaschinerie. Die meisten Beteiligten seien Zahnrädchen gewesen, notwendige Opfer, damit der Krieg funktioniert.
Frage im Gespräch: Hieße das denn, dass Deutschland nicht besser waffenfrei sein sollte? Der Historiker Gerhard Schätzlein, der auch die Geschichte des Todesstreifens und den Fall der Mauer in drei Bänden dokumentiert hat, sinniert kurz. Er sei sich bewusst, dass im Denken grundsätzlich Widersprüche bestehen können. Was Deutschland betrifft, gäbe es bis heute keine Wiedervereinigung, wäre das Land im Kalten Krieg neutral gewesen.
Buchvorstellung in Bayern, Hessen und Thüringen
Gerhard Schätzlein stellt sein Buch „Reichsarbeitsdienst in der Rhön“ am kommenden Freitag, 11.Oktober, um 18.30 Uhr zusammen mit Museumsleiterin Sabine Fechter im Fränkischen Freilandmuseum Fladungen vor. Eine Woche später, am Freitag, 18. Oktober, sind Interessierte um 18 Uhr in den Gangolfisaal des Schlosses im thüringischen Geisa eingeladen, wo Schätzlein gemeinsam mit Point-Alpha-Direktor Volker Bausch informiert. Dann wieder Bayern: In der Stadtbücherei Bad Kissingen steht das Buch am Donnerstag, 24. Oktober, um 19.30 Uhr im Fokus. Dortiger Gesprächspartner: Peter Weidisch, Kulturreferent und Stadtarchivar.
Abschließend präsentiert Schätzlein sein Werk im hessischen Fulda, und zwar am Donnerstag, 31. Oktober, um 18.30 Uhr im Grünen Saal des Stadtschlosses. Der Hauptkulturwart des Rhönklubs, Jürgen Reinhardt, eröffnet den Abend. Das Buch ist bei Gerhard Schätzlein im Eigenverlag erschienen und kostet 25 Euro. Gedruckt wurde es in Mellrichstadt bei der Druckerei Mack, die es auch an die Buchhandlungen vertreibt.