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Das Militär übt den Abzug
1400 Soldaten des Nato-Großverbands üben derzeit mit dem Gefechtssimulationszentrum des Heeres. Geprobt wird dabei auch der Abzug aus Afghanistan, speziell die geordnete Übergabe von Aufgaben an die Streitkräfte des Landes, und wie man auf Probleme dabei reagieren könnte.
Das Militär übt den Abzug
Von unserem Mitarbeiter Gerd Schaar
 |  aktualisiert: 15.12.2020 16:39 Uhr

Kristalladler heißt die militärische Großübung, die unter der Führung des Multinationalen Korps Nordost aus Stettin (Szczecin) derzeit in der Wildfleckener Rhön-Kaserne abläuft. Etwa 1400 Soldaten aus 21 Ländern wohnen, leben und üben währenddessen hier. Mit dem Simulationszentrum des Heeres wird vor allem die geordnete Übergabe von wichtigen Aufgabenbereichen an Afghanistans landeseigene Institutionen geprobt, wenn ein großer Teil des westlichen Militärs dieses Land im kommenden Jahr verlassen wird.

Nach wie vor rechne man noch mit Sprengfallen, Überfällen und Hinterhalts-Attentaten aufständischer Afghanen, weist der polnische Kommandeur des Multinationalen Korps', Generalmajor Boguslaw Samol, auf die vielfältigen Aufgabenbereiche bei den Absicherungsmaßnahmen hin. Ihm zur Seite bei der Leitung des Großverbands stehen als stellvertretender Kommandeur der dänische Brigadegeneral Morten Danielsson und als Chef des Stabes der deutsche Brigadegeneral Lutz Erich Niemann.

Kampfhandlungen werden im Rahmen der Übung in Wildflecken virtuell an den Computern ausgetragen. Mit lebenden Komparsen wird jedoch in Rollenspielen geprobt. Die Schauspieler mimen dabei afghanische Zivilisten und ihre Reaktionen auf die Aktionen der Nato-Militärs. Äußerstes Fingerspitzengefühl sei zum Beispiel nötig, um vor Ort im Ausland auch auf religiöse Gefühle mit der gebotenen Rücksicht und viel Toleranz zu reagieren. Diese Rollenspiele wurden beim Medientag für die Presse am Dienstag jedoch nicht präsentiert.

Im Prinzip ist eine Übung wie Kristalladler im Grunde ganz einfach: Eine Gruppe von Soldaten denkt sich möglichst üble Krisenszenarien aus, mit denen die anderen Soldaten konfrontiert werden. Diese müssen dann angemessene Lösungen erarbeiten, mit denen sie diesen unangenehmen Überraschungen begegnen. Dafür stehen ihnen bestimmte Mittel zur Verfügung, wie Kampfmittel, Fahrzeuge und andere Technik.

Das Ganze verzweigt sich allerdings in für den Außenstehenden nahezu unüberblickbar viele Teilbereiche. Schiedsrichter werten die Vorgänge anschließend aus. Und zum Schluss gibt es die Manöverkritik.

Generalmajor Carsten Jakobsson, Kommandeur der 1. Panzerdivision aus Hannover, ist zufrieden mit den Übungsbedingungen in Wildflecken. „Die Division übt hier zu Beginn der Vorbereitungsphase für ihren Einsatz in Afghanistan 2014. Für uns ist das ein ganz besonders wichtiger Schritt, den wir hier unter sehr realitätsnahen Bedingungen üben“, informiert er.

„So können wir uns optimal auf unseren Einsatz in Afghanistan vorbereiten“, ist sich Jacobsson sicher. Er war aus Hannover mit 450 Soldaten seiner Panzerdivision angereist. Davon seien 200 Leute im Divisionsstab eingesetzt. Die restlichen 250 Soldaten stellen die Rahmenbedingungen der Übung sicher.

Zufrieden äußert sich auch Generalleutnant Rainer Korff, einer der stellvertretenden Inspekteure des deutschen Heeres: „Wildflecken ist eine ausgezeichnete Lokalität, um solche Großübungen des Multinationalen Korps Nordost zusammen mit sehr vielen Nationen durchzuführen. Das Gefechtssimulationszentrum ist der wichtige Kern, der die Übungsziele mit solch einem Stab erreichen lässt.“

Schon zum zweiten Mal ist Major Vasilies Graèous, ein Lette aus Riga, in Wildflecken. „Ich habe vor einem Jahrzehnt dort und in Hammelburg meine Offiziersausbildung gemacht“, verrät er. Er fühle sich sehr gut in der Rhön-Kaserne untergebracht und spricht sogar von ganz hervorragenden Übungsbedingungen. Nach einem Übungstag bleiben ihm zwar nur wenige Stunden Freizeit, er hat sich aber schon die Kurstadt Bad Kissingen angesehen. „Vielleicht schaffe ich es auch auf den Kreuzberg“, hat Graèous einen Tipp seiner Kameraden nicht vergessen.

Während der Großübung habe er viel gelernt und es seien etliche neue Freundschaften zu Kameraden aus anderen Ländern entstanden, berichtet Graèous. In jedem Fall klappe die Verständigung auf Englisch, der von allen Teilnehmern beherrschten Dienstsprache. Sonst ist Graèous im polnischen Stettin stationiert, dem Hauptquartier des Multinationalen Korps Nordost. „Dort wartet schon meine Frau auf meine Rückkehr“, freut sich der Major.

Eine Premiere war die Übung in Wildflecken für eine Brigade aus Österreich. Dieses Land arbeitet sonst nicht im Multinationalen Korps Nordost mit. Der Kommandeur der Österreicher, Brigadegeneral Christian Riener, legte vor allem Wert auf das Thema Friedenserhaltung bei der Übung für den Auslandseinsatz. Denn sein Verband ist demnächst für einen Einsatz bei der Kfor-Friedenstruppe im Kosovo vorgesehen.

Die österreichischen Soldaten erhalten aus den Übungsszenarien alle wichtigen Informationen und können daraufhin ihre Lösungskonzepte in eigener Regie entwickeln. Auch auf den unteren Ebenen des Verbandes, in den unterstellten Bataillonen, werden die im Simulationszentrum gestellten Aufgaben von den Österreichern umgesetzt.

Das Herz des in Stettin stationierten Multinationalen Korps Nordost besteht aus polnischen, deutschen und dänischen Einheiten. In der Rhön-Kaserne waren Soldaten aus 21 Nationen unter den Übenden. Man trifft in Wildflecken unter anderem Tschechen, Kroaten, Rumänen, Türken und US-Amerikaner. Aus Deutschland kamen die Stäbe der in Hannover stationierten 1. Panzerdivision der Bundeswehr, aus Österreich die 4. Panzergrenadier-Brigade, aus Polen die 10. Panzerkavallerie-Brigade und aus der Slowakei das ABC-Bataillon. Ferner waren das multinationale Militärpolizei-Bataillon und das 9. polnische Aufklärungs-Regiment für die Übung abkommandiert.

Das Gefechtssimulationszentrum

Deutschlands größter Computerladen

Als „größten Computerladen Deutschlands“ bezeichnete ein früherer Leiter einmal scherzhaft das Gefechtssimulationszentrum des Heeres. Die Ausrüstung umfasst in der Tat Hunderte von Rechnern und Bildschirmen. Die militärische Einrichtung hat ihren Sitz seit 1997 in der Rhön-Kaserne in Wildflecken. Vorher hatte die Bundeswehr ihre computergestützten Simulationszentren dezentral auf 14 Standorte verteilt. In Wildflecken ist man in der Lage, Szenarien für Übungen von Großverbänden bis zum Korps abzubilden. Aufgabe des Zentrums ist die Unterstützung bei der Schulung der militärischen Führer. Die Simulation am Computer ersetzt dabei Manöver mit Truppenbewegungen im Gelände, wie sie früher üblich waren. Entscheidungen werden in den Rechner eingegeben, von dem die Übenden dann erfahren, welche Ergebnisse ihre Befehle hatten. Jedes Jahr üben Tausende von Soldaten mit dem Gefechtssimulationszentrum. Großverbände wie das Multinationale Korps Nordost, das Eurokorps und das Deutsch-Niederländische Korps kommen etwa alle drei bis vier Jahre nach Wildflecken.

 
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