
Wenn Professor Bernd Griewing auf die aktuelle Corona-Situation in Rhön-Grabfeld zu sprechen kommt, schlagen zwei Herzen in seiner Brust. Zum einen müsse man eine gewisse Normalität im Umgang mit dem Virus entwickeln, ohne zu ängstlich damit umzugehen. Zum anderen warnt der Vorstand Medizin am Rhön-Klinikum Campus auch eindringlich: "Wir sind noch voll in der Pandemie-Situation und wir wissen nicht, was in den kommenden Wochen noch kommt."
Vor etwas mehr als zwei Jahren ging der Campus in Bad Neustadt an den Start, gut ein Jahr davon bestimmt auch am Klinikberg das Coronavirus mit seinen vielfältigen Auswirkungen den Klinikalltag. Er könne sich noch gut an den 14. März 2020 erinnern, als der erste beatmungspflichtige Corona-Patient aus der Region am Campus in Behandlung war. Bis heute sind es etwa 210, die stationär aufgenommen wurden.
Kein Corona-Patient wurde bislang abgelehnt
"Wir mussten noch nie einen Corona-Patienten ablehnen", so Griewing. Aufgrund einer zusätzlichen Covid-Station, die nahezu wie eine klassische Intensivstation ausgestattet ist, verfüge man in Bad Neustadt über große Intensivbereiche. In Zeiten von stark ansteigenden Infektionszahlen waren auf dieser Zusatzstation bis zu 30 Plätze eingerichtet. Auch deshalb habe man, so der Mediziner, zwischenzeitlich viele Patienten aus Meiningen oder aus Bad Kissingen übernehmen können, als diese Häuser ihre Kapazitätsgrenze erreicht hatten.
Trotz hochgefahrener Sicherheitsmaßnahmen war auch der Campus in den vergangenen Monaten nicht vor Corona-Ausbrüchen gefeit, wenn Patienten erst nach ihrer Aufnahme positiv getestet werden. Jüngst im Bereich der Kardiologie. "Dieser beginnende Ausbruch ist mittlerweile beendet", sagt Bernd Griewing. Aktuell befänden sich zwölf der insgesamt etwas mehr als 3000 Mitarbeiter nach einem positiven Testergebnis in Quarantäne.
Schwer erträgliche Bilder für den Mediziner
Im Zuge dieses Ausbruchs Anfang Februar sparte der Vorstand Medizin auch nicht an allgemeiner Kritik, was den Umgang der Menschen mit der Pandemie derzeit angeht. "Meine Angst ist angesichts der rückläufigen Zahlen, dass die Sensibilität der Menschen, was die Einhaltung der Abstandsregeln, der Hygienemaßnahmen und der Reduzierung der Mobilität angeht, zurückgeht." Er erinnert sich in diesem Zusammenhang an Bilder von Menschenströmen in der verschneiten Rhön und von Faschingsumzügen in Thüringen. Diese Bilder seien als Mediziner nur schwer zu ertragen, "weil ich weiß, dass diese Grundregeln die Gewähr dafür sind, dass Krankenhäuser und die Mitarbeiter dann weniger belastet werden."

Eine geringere Belastung erhofft man sich am Campus neben der Einhaltung der allgemeinen Corona-Regeln auch durch Impfungen. Bis heute sind 934 Mitarbeiter geimpft worden, von diesen haben 375 die zweite Dosis erhalten. Zufrieden ist Bernd Griewing mit dieser Zwischenbilanz noch nicht angesichts einer nötigen Impfquote von 60 bis 70 Prozent, um unter der Belegschaft eine Herdenimmunität zu erreichen. An der generellen Bereitschaft der Mitarbeiter, sich impfen zu lassen, liege es nicht. Die Akzeptanz habe in den vergangenen Wochen deutlich zugenommen. Vielmehr ist - wie im ganzen Land - der Mangel an Impfstoff das Problem. In dieser Woche habe man Lieferungen des raren Serums erhalten, für die nächsten Wochen seien weitere zugesichert.
Gefährlicher Monat März
Bis dahin hebt der Klinik-Vorstand weiter den mahnenden Zeigefinger. Der März sei ein Monat, in dem der Inzidenzwert auch angesichts der Gefahr durch Corona-Mutationen wieder hochgehen könne. Dennoch bestehe die Herausforderung in den kommenden Wochen darin, unter Einhaltung von vernünftigen Regeln wieder "menschengerechter" mit Einzelschicksalen von Patienten umzugehen. Beispielsweise, wenn Menschen in der Reha seit drei Monaten aufgrund der politischen Vorgaben keinerlei Besuch empfangen durften.
Eine solche politische Vorgabe besteht seit Ende Oktober auch dahingehend, dass Krankenhäuser aufschiebbare Operationen nicht durchführen dürfen. Die Folge sind neben Umsatzeinbußen längere Wartelisten in einigen Krankenhausbereichen, in denen die Betten zuletzt nahezu gänzlich frei bleiben mussten. "An die Wartelisten müssen wir ran. Wir wollen das im Vertrauen mit kleinen Schritten schaffen", erklärt Bernd Griewing.
Keine Corona-Angst vor einem Arztbesuch
Gleichzeitig appelliert er an die Menschen, trotz Pandemie und Lockdown Krankheitsanzeichen ernst zu nehmen und einen Arzt aufzusuchen. "Uns fällt auf, dass die Menschen im Vergleich zu den Vorjahren schwerer krank sind, wenn sie dann zu einem Arzt gehen", so Griewing, der in diesem Zusammenhang um Vertrauen in die Gesundheitseinrichtungen wirbt.