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Roth
Bestürzung im Rhöner Dorf: So erlebte Roth die Groß-Razzia gegen die Nazi-Sekte "Artgemeinschaft"
Am Mittwoch gab es eine große Hausdurchsuchung in Roth. Wie die Bürger die Razzia  erlebten und warum für Bürgermeister Link noch viele Fragen offen sind.
Ein Großaufgebot der Polizei war am Mittwoch in Hausen-Roth bei einer Razzia im Einsatz.
Foto: Thomas Pfeuffer | Ein Großaufgebot der Polizei war am Mittwoch in Hausen-Roth bei einer Razzia im Einsatz.
Franziska Sauer
 und  Thomas Pfeuffer
 |  aktualisiert: 04.10.2023 02:55 Uhr

Was dahinter geschieht, ist nicht zu erkennen. Das Hoftor ist geschlossen, zahlreiche Polizeifahrzeuge sind vor und hinter dem Anwesen geparkt. Eine Großrazzia in Roth, das gab es in der Geschichte des Rhöndorfes wohl noch nie.

Beobachtet von so einigen Dorfbewohnern, die auf dem Weg zur Arbeit sind, rückt die Polizei gegen 6 Uhr an. Wenig später beginnen mehrere Dutzend Beamte – zunächst in Schutzwesten – mit der Durchsuchung eines Anwesens an der Ortsdurchfahrt. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) hatte die rechtsextremistische Vereinigung "Die Artgemeinschaft – Germanische Glaubens-Gemeinschaft wesensgemäßer Lebensgestaltung" zuvor verboten. Daraufhin durchsuchten Einsatzkräfte der Polizei Wohnungen von Mitgliedern sowie Räume des Vereins in mehreren Bundesländern, darunter auch in Bayern.

Das Rhöndorf Roth im bundesweiten Blickpunkt

Und so rückte das 200-Seelen-Dorf Roth bundesweit in den Blickpunkt. In einem begrünten Anwesen mit idyllischem Garten lebt seit rund zehn Jahren nicht nur ein einfaches Mitglied der sektenartigen, "zutiefst rassistischen und antisemitischen Vereinigung", wie Bundesministerin Faeser die "Artgemeinschaft" bezeichnet, sondern sogar deren derzeitig Vorsitzende mitsamt ihrer Familie.

Am Klingelschild deutet nur die Frakturschrift auf die Geisteshaltung der Bewohner hin. Am Briefkasten finden sich neben dem Familiennamen die Abkürzung der Artgemeinschaft "AG GGG e.V." und mit "Buchdienst AG" ein möglicher Hinweis auf geschäftliche Aktivitäten. Auffälliger sind dafür mehrere Schilder, die auf eine Videoüberwachung des Geländes hinweisen. 

Völlig unauffällige Familie

Die Durchsuchung zieht sich hin. Immer wieder treten Polizeibeamte vor das Anwesen, immer wieder bleiben Neugierige in der Nähe stehen, beobachten das Geschehen, und immer wieder suchen Reporter das Gespräch mit den Rother Bürgerinnen und Bürgern. Dazu bellt der Haushund unaufhörlich, den Polizisten an einen Baum im Garten angeleint haben.

Im Dorf versteht man zunächst nicht so recht, was da vor sich geht. War die Familie bislang doch sehr unauffällig geblieben. Einige Nachbarn erinnern sich, dass es da "schon mal etwas gegeben hat". Gemeint ist eine Durchsuchungsaktion vor rund zehn Jahren. Danach wurde im Dorf von einem rechtsradikalen Hintergrund gesprochen.  

Großen Anwesen mit mehreren Gebäuden

Immer wieder bilden sich Grüppchen. Inzwischen hat sich der Hintergrund der Razzia herumgesprochen. Dass es "so etwas bei uns im Dorf" gibt, hätten viele nie gedacht. Und dass sogar die Vorsitzende der rechtsradikalen Vereinigung in ihrem Ort lebt, schon gar nicht. "Der Mann war das sicher nicht", so eine Einschätzung am Straßenrand. Der Frau sei das schon eher zuzutrauen, so die allgemeine Ansicht.

Ebenfalls übereinstimmend ist auch die Beobachtung der Menschen in Roth, dass die Familie sehr zurückgezogen lebte und nie aufgefallen sei. Auch an größere Zusammenkünfte in dem Anwesen kann sich niemand erinnern. Lediglich, dass der Mann jüngst vor Gericht stand, weil er den Hitlergruß gezeigt haben soll, ist den meisten bekannt.

Diskutiert wird auch über die Kinder der Familie. Verschiedene germanisch klingende Namen werden aufgezählt, und man einigt sich darauf, dass es wohl sechs und nicht sieben sind. Dass sie weiterhin in der Familie bleiben, wie mehrfach gefragt wird, bestätigt Jörg Geier vom Landratsamt Rhön-Grabfeld: "Wir wurden im Vorfeld gebeten, uns bereitzuhalten, waren aber nicht erforderlich."

Das Jugendamt sei bisher jedoch noch nicht involviert gewesen. "Bisher sind uns keine Auffälligkeiten gemeldet worden." Geier hofft nicht, dass das Landratsamt aktiv werden muss – "denn das würde bedeuten, dass das Kindeswohl gefährdet ist." Bis jetzt wurde die Behörde nicht angefordert. "Im Moment laufen Untersuchungen durch den Verfassungsschutz. Wenn sie zum Schluss kommen, dass wir aktiv werden müssen, wird das Jugendamt das tun."

Kleintransporter und großer Lkw

 "Warum dauert das so lange?", ist eine am späten Nachmittag häufig geäußerte Frage. Kenner weisen darauf hin, dass es sich um die alte Brauerei, ein "Riesenanwesen" mit mehreren Häusern, Nebengebäuden und Scheunen handelt. Das zu durchsuchen, benötige eben seine Zeit.

Am frühen Nachmittag sorgen zwei Kleintransporter für Gesprächsstoff. In allen möglichen Kartons werden beschlagnahmte Gegenstände darauf verladen und abgefahren. Später treffen erneut Transporter ein. Dann rollt ein schwerer Polizei-Lkw heran, bevor der rückwärts in den Hof fahren kann, muss ein Privatwagen aus der Einfahrt. Gespannt warten alle darauf, wer sich ans Steuer setzt.

In Roth bei Hausen haben Beamte am Mittwoch das Anwesen der Leiterin der verbotenen 'Artgemeinschaft' durchsucht.
Foto: Franziska Sauer | In Roth bei Hausen haben Beamte am Mittwoch das Anwesen der Leiterin der verbotenen "Artgemeinschaft" durchsucht.

Denn, das haben einige Rother beobachtet, es ist jemand aus der Familie im Haus. Doch dann kommt ein Polizist aus dem Hof und setzt sich ans Steuer. Nun stellt sich die Frage, was da alles verladen wird. Aus dem Hof des durchsuchten Hauses sind lediglich Hinweise zu vernehmen wie "Haus 2, Zimmer 1", die auf ein systematisches Beladen auch größerer Gegenstände schließen lassen.

Immer mal wieder fährt Bürgermeister Friedel Link vorbei. Die Polizei habe ihn "vergattert", nichts zu sagen. Er hätte sich aber nie erträumen lassen, dass so etwas in Roth passiert. Es habe zwar Gerüchte über die Familie gegeben, aber dass es eine derart "harte Verbrechergruppe" ist, hätte er nicht gedacht, stellt er am Morgen nach der Razzia klar. Er habe die größten Bedenken. "Da muss man aufpassen!" Auch, weil die Gruppe im Zusammenhang mit dem Mörder des Kassler Regierungspräsidenten Walter Lübcke steht. Das habe ihn total entsetzt, so Link.

Bürgermeister will Gespräch mit Landrat, Polizei und Ministerium

Ganz Roth sei entrüstet, so der Bürgermeister. Auch er habe Angst um seine Familie und um die Bevölkerung. Man stelle sich in Roth das Schlimmste vor, weil Innenministerin Faeser gesagt hat, dass auch Schusswaffen sichergestellt worden seien. Erst später wird sich herausstellen, dass in der Rhön wohl keine Waffen gefunden wurden. Link kündigt an, mit dem Landrat zu telefonieren, um sich dann mit ihm, Kriminalpolizei und Innenministerium an einen Tisch zu setzen. Für ihn ist die Angelegenheit noch nicht zu Ende.

Die Durchsuchungs- und Beschlagnahmungsaktion zieht sich bis in den Abend hin. Gegen 21.30 Uhr verlässt die Polizei das Anwesen. Es wird wieder ruhig im Dorf. Wenig später fährt ein Kleinbus aus der Nebeneinfahrt des Grundstücks. Im ersten Stock des Gebäudes brennt noch Licht. Was hinter den Fenstern geschieht, ist nicht zu erkennen.

 
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  • Reinhard Rauch
    Der Bgm, der Verfassungsschutz, Politiker oder... Naja, vielleicht sollten WIR ALLE mehr Verantwortung übernehmen, damit die Gesellschaft funktioniert. Indem wir respektvoll miteinander umgehen und auch mal andere Meinungen aushalten. Indem wir gemeinsam Dinge unternehmen und voranbringen. Egal ob nur mit den Nachbarn reden, im Verein, Gewerkschaft, pol. Partei., etc. Oder indem wir zuhören, nachdenken und erkennen, was und wer spaltet und hetzt, anstatt zusammen zu halten und an Lösungen zu arbeiten.
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  • Stefanie Strätz
    Andere Meinungen aushalten, ja das stimmt, das müssen wir manchmal. Faschismus und Rechtsradikalismus sind keine Meinungen, da gibt's nichts auszuhalten.
    In allen anderen Punkten bin ich bei ihnen.
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  • Stefan Fuchs
    Die Naivität manches Dorfbewohners,und vor allem des Bürgermeisters verschlägt mir den Atem.
    Reinhard Heydrich war ein Bildungsbürger wie man heute so schön sagt.Er spielte Geige und war vor der Kamera der liebevolle Vater.
    Er war für den millionenfachen Mord an unseren jüdischen Mitbürgern verantwortlich.

    Kein Nazi ist so blöd und latscht ständig durch ein Kaff mit dem Deutschen Gruß PUNKT
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  • Simona Kopanicakova
    Sie hätten es also sofort gemerkt, dass da was faul ist? Ich hoffe Sie arbeiten schon beim Bundesverfassungsschutz oder ähnlicher Behörde, denn da könnte man Ihre Fähigkeiten unglaublich gut gebrauchen.
    Ich für meinen Teil möchte dazulernen. Was sind also Ihre konkreten Kennzeichen und Anhaltspunkte, anhand derer Sie solche Rechtsradikalen Verbrecher erkennen? Was haben die "naiven" Rother übersehen?
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  • Georg Wohlfart-Mitznegg
    Sie möchten Anhaltspunkte,
    anhand derer Sie künftig
    "rechtsradikale Verbrecher"
    erkennen können?

    Die Antwort ist einfach:
    Diese Anhaltspunkte gibt es nicht!
    Manch Mensch pflichtet aktuell dem Vorsitzenden der CDU, Merz, bei,
    hält dessen diskriminierende Aussagen über Menschen und Zahnarztbesuche für richtig.
    Andere springen dem Obergrenzen-Söder zur Seite (JA zur Arbeitsmigration ...)
    "Die Ausländer" hört man oft genug und da wird erstaunlich wenig differenziert.
    Die AfD würde wohl am liebsten den Döner aus Deutschland hinausjagen und den Menschen das Schnitzel oder in Franken die Bratwurst ans Herz legen.
    Diese Aufzählung könnte man beliebig fortsetzen und unterm Strich komme ich immer zur Kernaussage:
    Die Grenze zwischen dem guten Deutschen, der seine Heimat liebt und
    seine Traditionen lebt und der "rechtsradikalen Verbrecherin",
    die Vorsitzende einer "NAZI-Sekte"
    (so stehts hier in der Überschrift)
    ist, die sind mehr als fließend und es gibt
    "hier bei uns" in fast jedem Ort beides.
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  • Peter Koch
    Ganz so einfach hatte es der Bürgermeister nicht sich schlau zu machen weil die Artgemeinschaft in Berlin Charlottenburg im Vereinsregister eingetragen ist.
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  • Dorothea Birkner
    Leider verstößt Ihr Kommentar gegen die Kommentarregeln auf mainpost.de. Wir haben den Kommentar deshalb gesperrt.
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