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BAD NEUSTADT
Bäckerei Zoll wird abgerissen
So sah die Weinstube und Bäckerei Zoll in den Dreißigerjahren aus.
| So sah die Weinstube und Bäckerei Zoll in den Dreißigerjahren aus.
Karin Nerche-Wolf
 |  aktualisiert: 03.12.2019 09:48 Uhr

Das momentane Lebensgefühl von Birgit und Peter Zoll lässt sich vielleicht so beschreiben: Sie stehen auf einer Insel und um sie herum sinken die Dünen ins Meer. Auf der einen Seite ihres Wohnhauses wurde der gesamte Komplex der ehemaligen Bäckerei Zoll bereits abgerissen, auf der anderen Seite wird gerade ein Flügel von Schwan & Post dem Erdboden gleichgemacht. Und mittendrin lebt wehmütige Erinnerung.

Ein paar Souveniers haben sie behalten

„Wir haben nicht zugucken können, als der Bagger gegen die Bäckerei anrückte“, meint Birgit Zoll und trifft bei allen Neuschtern auf größtes Verständnis dafür, dass für diese Zeit ein kleiner Urlaub die bessere Alternative war. Vorher hat das Ehepaar schnell noch ein paar Souvenirs gerettet, um die auch die Töchter gebeten hatten: den Brezel-Griff von der Laden-Eingangstür, die bunten Fensterscheiben des Cafés, Weingläser und die blauen Schilder mit den Hausnummern 31 und 31a.

Wenn man zurückdenkt an die Bäckerei Zoll, kommt fast allen sofort Tante Marie in den Sinn, die sowohl im Verkauf als auch in der Gäste-Bewirtung mit Leib und Seele aufging. Solange ihr es möglich war, bediente sie am Abend Kirchenchor, Frauen nach ihrer Gymnastik, Stammtische und Gruppen, die etwas zu besprechen hatten. Auch Stadtpolitik wurde hier betrieben, nachhaltig in Erinnerung geblieben sind Birgit Zoll die regelmäßigen Treffen der Geschäftsleute mit Bürgermeister Paul Goebels.

Mit einer Weinwirtschaft fing es an

Ursprünglich war das Café eine Weinwirtschaft gewesen, die Bäckerei lieferte die Knabbereien zum Rebensaft, erzählt Peter Zoll, der zudem mit interessanten Dokumenten aufwarten kann. So hat er eine Urkunde, aus der hervorgeht, dass seinem Urgroßvater Josef Martin Zoll 1886 das Bürgerrecht von Neustadt verliehen wurde. Er kam aus dem Raum Hammelburger und erwarb das damals schon rund 200 Jahre alte Haus für 13 500 Mark. Auch der Meisterbrief, den sein Großvater Karl 1920 im Bäckerhandwerk erwarb, befindet sich noch im Besitz von Peter Zoll.

Weinfässer schrubben im Keller

Gerne erinnert er sich daran, dass er in seiner Kindheit Anfang der 60er-Jahre noch in die Weinfässer im Keller gestiegen ist und sie mit der Wurzelbürste gereinigt hat. Oben saßen derweil die Bauern beim Frühschoppen, die mit Körben voller Ferkel zum Schweinemarkt auf den Marktplatz gekommen waren und sich vor dem Heimweg noch ein wenig labten. Weil „der Reyer“ aus Rheinfeldshof viel „daherbabbelte“, blieb er im Gedächtnis besonders haften.

Auch Zolls selber hatten Schweine, für die bis 1974 eine Scheune und Stallungen auf dem Areal existierten, das in 130 Jahren immer wieder verändert und umgebaut wurde. Das Verkaufsfenster, aus dem die Oma der Kundschaft das Brot reichte, gehörte endgültig der Vergangenheit an, als 1976 die Umwandlung in ein Café erfolgte. Die Weichen dafür hatte Peter Zoll gestellt, der eine etwas andere Richtung einschlug, als es die Familientradition bis zu seinem Vater Otto vorgab: Er wurde Konditormeister und führte das Geschäft bis 2010.

Die Lehrlinge wohnten im Haus

Unter der Regie seines Vaters war es noch üblich, dass Lehrlinge mit im Haus wohnten und die Mutter dadurch für 12 oder 13 Leute kochen musste. Schließlich begann die Ausbildung schon mit 14 Jahren und Bäcker mussten ja bereits um 3 Uhr mit der Arbeit anfangen. Da gab es kaum eine Möglichkeit für die jungen Leute, aus einer Landkreisgemeinde rechtzeitig zur Stelle zu sein. So bekamen sie eben ihr Zimmer beim Lehrherrn, der notfalls auch gegen die Tür bumperte, wenn jemand verschlafen hatte. Als Otto Zoll selber noch in der Lehre war, hatte ihn sein Vater mit dem Huckelkorb auf dem Rücken nach Neuhaus geschickt, um dort das Brot auszutragen.

Die Bausubstanz war marode

Auch wenn sie es schade finden, dass mit der Bäckerei ein Stück Neuschter Geschichte verschwunden ist, räumen Zolls ein, dass die Bausubstanz in keinem guten Zustand mehr war. Birgit Zoll lacht: „Wir hatten oben im Haus mal einen Schaden an der Waschmaschine, da hat das Wasser dann im Café durch die Decke getropft“.

Es war ein richtiger Lehmbau früherer Jahrhunderte, die Tragbalken waren zum Teil verkohlt, weil es wohl irgendwann mal einen Brand gab, und der Holzwurm war auch unterwegs. Trotzdem schmerzt der Abbruch, der aber zum Glück so kam, dass ihn Otto Zoll und seine Schwester Marie nicht mehr erleben mussten.

Karl Zoll (unten) und seine Gesellen schieben die Backwaren in den Stikken-Ofen.
| Karl Zoll (unten) und seine Gesellen schieben die Backwaren in den Stikken-Ofen.
Ein Blick in die Backstube von Karl Zoll (links). Der Bub neben ihm ist sein Sohn Otto.
| Ein Blick in die Backstube von Karl Zoll (links). Der Bub neben ihm ist sein Sohn Otto.
In diesem Moment macht sich der Bagger am Ofen der Backstube vom Café Zoll zu schaffen.
Foto: Foto/Repros: Karin Nerche-Wolf | In diesem Moment macht sich der Bagger am Ofen der Backstube vom Café Zoll zu schaffen.
 
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