Überraschender Fund bei den Renovierungsarbeiten an der Fassade des Schmuckgeschäftes Witzel am Marktplatz. Als eine Fläche über den Erker-Fenstern von losem Putz befreit wurde, tauchte darunter eine lateinische Inschrift auf. Aus der geht hervor, dass das Gebäude älter ist als gedacht. Bislang vermutete man die Errichtung des Gebäudes um 1750 herum. Nun weiß man es genau: Das Haus wurde im Jahr 1668 gebaut.
"Johann Christoph Heinbeck, Verwalter der Wiltbergs, hat dieses Haus 1668 gebaut" lautet sinngemäß übersetzt die gefundene Inschrift. Der Herren von Wiltberg, in einigen Quellen auch als Grafen von Wildberg bezeichnet, waren ein frühhochmittelalterliches Adelsgeschlecht im nördlichen Franken. Ihr Herrschaftsbereich erstreckte sich über das Grabfeld, den Haßgau und das heutige Südthüringen. Stammburg des Geschlechts war die Burg Wildberg bei Sulzfeld.
Erinnerung an eine Heckenwirtschaft
Geschäftsinhaberin Elke Witzel-Fischer freut diese Entdeckung derzeit besonders. In diesem Jahr kann nämlich das Uhren- und Schmuckgeschäft sein 200. Jubiläum feiern. "Damit ist es in Bad Neustadt die älteste Handelsfirma im durchgehenden Familienbesitz", so Witzel-Fischer. Auch das Haus selbst ist mit seinem schönen Erker im ersten Stockwerk äußert sehenswert. Das Reliefbild unter dem Fenster zeigt zwei Kundschafter, die eine große Traube auf einem Querstab über den Schultern tragen. Darüber steht "Zur gruenen Weintrauben" - eine Erinnerung an eine der zahlreichen Heckenwirtschaften in Bad Neustadt in diesem Haus.
Firmengründer war Johann Christoph Witzel. Der Handelsmann wurde 1774 in Lengenfeld bei Erfurt geboren, kam 1819 nach Neustadt und eröffnete in der Hohnstraße 12 ein Bijouterie-, Galanterie- und Spielwarengeschäft. Die ersten beiden Bezeichnungen sind heute kaum noch geläufig. Hinter Bijouterie verbirgt sich die Herstellung von Schmuckgegenständen und hinter Galanteriewaren modische Accessoires wie Parfümfläschchen, Puderdosen, schöne Knöpfe, Armbänder, Schnallen, Tücher, Schals, Bänder oder Fächer. Also kleine "Liebenswürdigkeiten", die ein Galan gerne seiner Angebeteten schenkt.
Titel "Hoflieferant" erhalten
Sein Sohn Josef Witzel erwarb 1849 ein weiteres Haus in der Hohnstraße und baute das Geschäft aus. 1872 trat dessen Sohn Christian als Hauptteilhaber mit dem Vater auf und machte sich mit Neugründungen von Filialen in Lohr am Main, Königshofen, Würzburg und Bad Kissingen allmählich selbstständig . Dort erhielt er den Titel "Hoflieferant". 1884 trat Christian zurück und überließ seinem jüngsten Bruder Carl Witzel senior die Geschäfte in Neustadt, Königshofen und später auch in Bad Kissingen. 1884 ging in Bad Neustadt das Haus Katzenberger (heute Marktplatz 7) käuflich an Carl Witzel über und dieser eröffnete in dem seit nunmehr 135 Jahren im Familienbesitz befindlichen Gebäude ein Ladengeschäft. Sein Ruf als Goldschmied reichte über die Region hinaus.
Dessen Sohn Carl Witzel junior trat 1905 in Würzburg in die Goldschmiedelehre und arbeitete für namhafte Juweliergeschäfte in Schweinfurt und Würzburg. Besonders gefragt war sein Grandelschmuck, den er selbst anfertigte. Grandeln ist die waidmännische Bezeichnung für die Eckzähne vom Rotwild. Sie werden seit Jahrhunderten als Jagdtrophäen zu Schmuck verarbeitet. 1920 eröffnete Witzel ein Geschäft am oberen Marktplatz im Bereich der heutigen Marktbärbel-Passage. Kurz darauf wechselte er zwecks Erweiterung in die Spörleinstraße, wo er sein Sortiment um eine Optikabteilung ergänzte. 1936 erwarb er das väterliche Geschäft am Marktplatz 7, nachdem er 1935 vor der Handwerkskammer Würzburg die Prüfung als Goldschmiedemeister abgelegt hatte. Neben Schmuck und Optik gab es Bestecke, Spiel- sowie Porzellan-, Kristall- und Hohlwaren.
Die Optikabteilung wird vergrößert
Carl Witzels Sohn Elmar legte 1968 an der Fachhochschule Berlin und der dortigen Handwerkskammer die Prüfung zum Augenoptiker-Meister ab. Nach Angaben seiner Schwester Elke war er damit in Bad Neustadt der erste Optiker mit der Bezeichnung "staatlich geprüfter Augenoptiker und Augenoptiker-Meister". Die Optik-Abteilung wurde vergrößert und im Gegenzug wurden die Spielwaren aufgegeben. 1979 verstarb Carl Witzel, 2014 sein Sohn Elmar und heuer im Alter von 97 Jahren seine Frau Elfriede. Das Geschäft wird in vierter Generation weitergeführt von Handelsfachwirtin Elke Witzel-Fischer, die seit 1977 mitarbeitet. Mit dem Tod ihres Bruders wurde die Optikabteilung aufgelöst. Das Angebot konzentriert sich seitdem auf Uhren und Schmuck sowie Reparaturen.
"Wenn man ein Geschäft so lange im Familienbesitz führen kann, dann geht das nur über Ehrlichkeit, Vertrauen und Kompetenz", betont Elke Witzel-Fischer. Man dürfe sich nicht selbst in den Vordergrund stellen, sondern den Kunden. "Das hat bereits meine Familie in früheren Zeiten beherzigt und das ist auch mein Ziel." So richtet sich ihre Dankbarkeit auch nicht nur darauf, auf eine so lange Familientradition blicken zu können, sondern auch auf ihre Kundschaft, der sie weiterhin mit Rat und Tat zur Seite stehen will.