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BASTHEIM
Aus Baltimore in den Besengau
Ralph Brunn und seine Familienangehörigen besuchten Bastheim, wo die Familie bis zur Zeit der Judenverfolgung gelebt hatte. Bürgermeisterin Anja Seufert (vorne, links) freute sich, als sich der 92-Jährige ins Goldene Buch der Gemeinde eintrug.
Foto: Klaus-Dieter Hahn | Ralph Brunn und seine Familienangehörigen besuchten Bastheim, wo die Familie bis zur Zeit der Judenverfolgung gelebt hatte.
Klaus-Dieter Hahn
 |  aktualisiert: 03.12.2019 09:08 Uhr

Sechs jüdische Familien lebten bis 1938 in Bastheim. Eine davon war die Familie von Abraham Brunngässer. Wie der Nachname schon sagt, wohnte die Familie mit ihren insgesamt acht Kindern in der Bastheimer Brunnengasse. Eines dieser Kinder war Gustav Brunngässer (geboren 1893), der kurz vor Beginn des Zweiten Weltkriegs in die Vereinigten Staaten auswanderte. Fast 80 Jahre später besuchte nun mit Ralph Brunn einer der Enkel von Abraham Brunngässer und Sohn von Gustav Brunngässer die alte Heimat. Auf die Spuren der Vorfahren begaben sich auch seine Tochter und weitere Familienangehörige, die neugierig darauf waren, wo ihr Großvater das Licht der Welt erblickt hatte.

Neben Wertheim und Frankfurt, wo die Familie von Gustav Brunngässer nach ihrem Fortzug aus Bastheim im Jahr 1926 bis zu ihrer Emigration lebte, gehörte auch Bastheim zu den Abstechern auf dieser Reise. Bürgermeisterin Anja Seufert und Dorfchronist Hermann Leicht hießen die Besucher aus den USA mit dem Wertheimer Stadtführer Udo Klüpfel im Sitzungssaal des Rathauses willkommen.

Während die Gemeindechefin den Besengau und insbesondere Bastheim in englischer Sprache vorstellte, ging der frühere Lehrer Hermann Leicht auf die alten Unterlagen ein, die er über die Juden in Bastheim im Allgemeinen und die Familie Brunngässer im Besonderen gefunden hatte. Ergiebige Quellen waren das Gemeinde- und Pfarrarchiv sowie alte Unterlagen der Bastheimer Schule.

Opas Zeugnis gefunden

Neben alten Familienstandsbögen, Klassenlisten und dem jüdischen Matrikel hatte Leicht bei seinen Recherchen sogar das alte Schulzeugnis von Großvater Gustav Brunngässer zutage gefördert, was bei den amerikanischen Gästen für Erheiterung sorgte. Dass der Name „Brunngässer“ tatsächlich von der Brunnengasse herrührt, wusste Hermann Leicht damit zu begründen, dass bis zu Napoleons Zeiten die Juden nur den Vornamen und Namen des Vaters trugen. Erst kurz nach der Jahrhundertwende hatten sich auch die Juden einen Nachnamen zu geben. Und da nahm man häufig den Namen der Straße oder des Wohnortes an. So gab es auch Familien mit Nachnamen Bastheim oder Reyersbach.

Während Ralph Brunn und seine Familienangehörigen natürlich brennend an allem interessiert waren, was mit den familiären Wurzeln zu tun hatte, wollten Bürgermeisterin und Dorfchronist, aber auch mit Ludwig und Irmgard Neller die jetzigen Eigentümer des früheren Brunngässer-Anwesens mehr über Ralph Brunn wissen. Der bald 92-Jährige überraschte alle mit einer detaillierten Erzählung seiner Lebensgeschichte in perfektem Deutsch.

Aus dem KZ nach Amerika

Als die Judenverfolgung im Nazi-Deutschland begann, zog Gustav Brunngässer mit seiner Familie 1935 nach Frankfurt, wo man sich unter den vielen Juden sicher glaubte. Früh reifte allerdings dann doch der Gedanke zu emigrieren. Im November 1938 lagen die Ausreiseunterlagen vor. „Mein Vater war Jäger und hatte daher viele Gewehre in seinem Besitz. Eines Tages waren wir zur Ablieferung der Gewehre aufgefordert worden. Zusammen mit meinem Vater brachte ich die Gewehre auf die Polizeiwache. Dort wurde mein Vater verhaftet.“ Er kam ins KZ Buchenwald. Für 10 000 Reichsmark konnte der Vater mithilfe eines Frankfurter Rechtsanwalts ausgelöst werden.

Nach der Rückkehr des Vaters aus Buchenwald schiffte sich die Familie im französischen Le Havre ein und betrat in Baltimore amerikanischen Boden. Während der 14-jährige Ralph die Schule besuchte und nebenbei Zeitungen austrug, hielten Mutter und Schwester mit kleinen Jobs die Familie über Wasser. Vater Gustav fand als Gewürzverkäufer zunächst keine Arbeit.

Schließlich gelang es Ralphs Vater, sich in Baltimore dank der Unterstützung vieler jüdischer Auswanderer selbstständig zu machen. In den Nachkriegsjahren schaffte es Gustav Brunngässer mit einem eigens für die berühmte Baltimorer Krabbenindustrie kreierten Mischgewürz, ein Unternehmen zu gründen und weitere Standorte in North Dakota, Texas und Nevada aufzubauen. Zudem beteiligte sich die Familie an Unternehmen in der Dominikanischen Republik, in Costa Rica, Panama, Portugal und auf den Philippinen. Mit 60 Jahren verkaufte Ralph Brunn 1985 das erfolgreiche Unternehmen.

Bürgermeisterin Anja Seufert bat die Gästeschar schließlich um einen Eintrag ins Goldene Buch der Gemeinde, bevor man sich gemeinsam das ehemalige Brunngässer-Anwesen – es diente in der Nazi-Zeit auch zwölf Jahre lang als Rathaus – anschaute.

Mit Ludwig und Irmgard Neller, den jetzigen Eigentümern des Anwesens in der Bastheimer Brunnengasse, sowie Bürgermeisterin Anja Seufert besichtigten die Gäste aus den USA das Haus ihrer Vorfahren. Neben dem Eingang ist noch die Bezeichnung Rathaus 1937 zu erkennen.
Foto: Hahn | Mit Ludwig und Irmgard Neller, den jetzigen Eigentümern des Anwesens in der Bastheimer Brunnengasse, sowie Bürgermeisterin Anja Seufert besichtigten die Gäste aus den USA das Haus ihrer Vorfahren.
 
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