Lieber heute als morgen würde Birgit Kirsch, Notärztin in Bad Königshofen und Chirurgin an der Herz- und Gefäßklinik des Rhön-Klinikums in Bad Neustadt, wieder zurück nach Nepal fliegen, um dort im Erdbebengebiet weiter zu helfen. „Es gibt jetzt viel zu tun, Aufbauarbeit ist angesagt und jede Hand wird dort gebraucht“, sagt die Medizinerin im Gespräch mit dieser Zeitung.
Und das, obwohl sie mit Schrecken an den 25. April zurückdenkt, den Tag des schweren Erdbebens in dem Himalaya-Staat. Sie hat es vor Ort erlebt (wir berichteten). Als freiwillige Helferin arbeitet sie seit Jahren in ihrem Urlaub unentgeltlich in Nepal. „Das kann man sich nicht vorstellen – alles schwankte und du dachtest: nur raus, nur raus, das Haus stürzt ein. Ich weiss es noch wie heute. Es war 11.56 Uhr, und ich habe nur bemerkt, wie plötzlich alles im Haus bebte, die Wände wackelten.“ Am Geländer der schwankenden Treppe hangelte sie sich zur Haustüre. Dort allerdings stellte sie fest, dass diese abgeschlossen war, der Schlüssel lag in der oberen Etage. „Also zurück, Schlüssel holen und raus. Als wir dann auf freiem Feld saßen, wussten wir nicht, was passiert war. Ein schweres Erdbeben, klar. Mit vielen Nachbeben, die wir ja immer noch spürten. Das kann man nicht so erzählen, es war schrecklich.“
Tiefes Rumoren
Birgt Kirsch fügt an, dass es einen großen Unterschied mache, ob man ein Erdbeben in einem Gebäude erlebt, oder auf der blanken Erde sitzend. In letzterem Fall spüre man, wie es tief unten in der Erde rumort.
Ihr Glück war, dass sie in einem Viertel in Nepal wohnte, wo die Häuser aus Backsteinen gebaut sind. Dort gab es keine eingestürzten Gebäude, nur umgefallene Gartenmauern und viele Risse. Im Haus selbst war durch weitere kleinere Erdbeben der Putz von den Wänden gefallen. Deshalb entschied sich die Medizinerin aus Bad Königshofen, ihr Bett in die Mitte des Raumes zu stellen.
„Natürlich bedrängte uns die Frage: Wie sieht es anderswo aus in der Stadt, im Land? Informationen gab es keine.“ Erst etliche Stunden später kamen erste, spärliche Angaben. Erschreckend dann die Mitteilung: Der Dharahara-Turm, auch bekannt als Kathmandu Tower, ist eingestürzt. Das hat an die 60 Menschenleben gekostet. Es ist dies ein 61 Meter hoher Turm, der 1832 für die Königin von Nepal gebaut wurde und bislang ein Touristenmagnet war.
In dem asiatischen Land gibt es immer wieder kleinere Erdbeben. „Es ist eine instabile Region“, sagt Birgit Kirsch. Ein solch verheerendes Erdbeben allerdings gab es letztmals vor 80 Jahren. Das berichtete ihr ein Mann, der das damals miterlebt hatte.
Sofort bauten die Menschen aus Decken, Planen und Teppichen provisorische Zelte. So entstand eine kleine Zeltstadt. Mittlerweile gibt es sogar ein Zeltrestaurant, und eine der provisorischen Behausungen wird zur Schule. Denn die Regierung hat die Wiederaufnahme des Unterrichts angeordnet. Aus Zelten und Bambusstangen sind diese Behelfsklassenzimmer gebaut. Der Staat werde die Schulen ganz sicher wieder aufbauen, aber, so die Ärztin, „das wird wohl erst in ein bis zwei Jahren sein“.
Probleme bei der Wasseraufbereitung
Recht schnell seien übrigens die Hilfslieferungen angelaufen, und in diesem Zusammenhang dankt Birgit Kirsch vor allem den vielen privaten Spendern, aber auch dem Lions-Club Bad Königshofen und dem Rhön-Klinikum sowie weiteren medizinischen Einrichtungen. „Die Spenden haben wir dringend gebraucht und konnten sie auch sofort in Hilfsleistungen umsetzen.“
Ein großes Problem sei nach wie vor die Wasseraufbereitung. Zwar gibt es verschiedene Filtersysteme, wobei eines aus Amerika besonders wirksam sei. Allerdings müsste es direkt an der Wasserquelle installiert werden, dort, wo die Menschen das Wasser abholen. Deshalb hat Birgit Kirsch von Bad Königshofen aus bereits Kontakt zu verschiedenen Firmen aufgenommen.
Immer wieder hat Birgit Kirsch vor ihrem Abflug Ende Mai aber auch die Abriss- und Aufbauarbeiten gesehen. Aus Bambusstangen sind dabei die Gerüste, und die Menschen arbeiten ohne Absicherung und mit den einfachsten Gerätschaften. Auch im Haus in Kathmandu ist einiges zu tun. Vor allem mussten die Wassertanks, die auf den Häusern sind, abgebaut und durch stabile ersetzt werden.
Wiederaufbau erst nach der Regenzeit
Wichtig ist der weitere Aus- und Aufbau und die Instandsetzung der Krankenhäuser. „Hier gibt es viel zu tun, damit die Arbeit wieder weiterlaufen kann.“ Operationssäle und Röntgenbereiche müssen wieder hergestellt werden, ebenso Behandlungsräume und Notaufnahmen. Außerdem müssen die Gebäude auf die Schäden untersucht werden. Mit dem eigentlichen Aufbau kann aber erst begonnen werden, wenn die Regenzeit vorbei ist. Dann wird sich auch zeigen, wie es draußen auf dem flachen Land aussieht, was Erdrutsche alles zerstört haben und wo Straßen wieder hergestellt werden müssen.
Birgit Kirsch beschäftigt aber auch der Krankheitsfall eines Freundes in Nepal. „Da gilt es, zu telefonieren und auch mal Ferndiagnosen zu stellen und die Therapie von hier aus zu steuern.“ Spätestens im September will sie wieder nach Nepal fliegen.
Ihr und Einheimischen schwebt vor, den Tourismus zu stärken. Gerade die Gegend um Kathmandu sei wunderschön. Deshalb sollten die Menschen in Nepal beim Wiederaufbau daran denken, Fremdenzimmer zu bauen, außerdem entsprechende Sanitäranlagen. „Die Menschen müssen in das Land, um so auch die notwendigen Mittel für das Volk, aber auch für den Wiederaufbau, zu bringen.“ Dazu müssten die Menschen touristisch geschult werden. „Aus der wunderschönen Gegend ist auf touristischem Sektor mit Führungen und so weiter viel zu machen. Nur: Man muss es anpacken.“
Nach wie vor ist aber Hilfe gefragt, und deshalb seien weitere Spenden notwendig. So wurden kurz vor Birgit Kirschs Rückflug im Camp von Tundikhel 600 Paar Sandalen, vor allem für Kinder, verteilt. „Ich habe viele strahlende Gesichter gesehen, und einige der Mütter hatten Tränen in den Augen. Ich glaube, über die einzelnen Schicksale möchte ich lieber nicht so genau Bescheid wissen.“
Nicht unterkriegen lassen
Aufgefallen sei ihr ein junger Mann, der ein T-Shirt trug, das neben dem Dharahara noch andere historische Gebäude zeigt und dazu die Aufschrift: We will rise again! (engl.; Wir stehen wieder auf). Das habe ihr so gut gefallen, dass sie sich auch solch ein Shirt kaufte, und zwar genau an dem Platz, an dem die Reste des Dharahara stehen.
Übrigens ist in diesen Tagen eine Lieferung bei Birgit Kirsch eingetroffen. Sie enthielt Bücher mit dem Titel: „Ligligkot und zurück“. Darin findet man Geschichten aus Nepal, unter anderem Berichte der Ärztin. Das Buch gibt es zum Preis von 19,80 Euro bei Birgit Kirsch, Tuchbleiche 1, in Bad Königshofen. Der Erlös ist für den Verein „Nepalmed“ bestimmt.
Spendenkonto des Lions-Clubs Bad Königshofen: Konto-Nr. 30 07 72 bei der Sparkasse Bad Neustadt, BLZ 793 530 90; Stichwort: Nepalspende.