
Spiel der Illusionen – auf der Theaterbühne. Was wäre das ohne Kulissen, die die Zuschauer in die Handlung hineinziehen? Egal, ob abstrakte Bühnenbilder oder naturalistische, voller überbordender Fantasie oder von nüchterner Sachlichkeit. Wo und wie das im europäischen Theater seien Anfang nahm, das konnte man im Großen Haus des Meininger Theaters sehen, in einer multimedialen Show der Prospekte und Kulissenteile, die die Coburger Werkstatt der Gebrüder Max und Gotthold Brückner für den Meininger Theaterherzog Georg II. (1826-1915) gefertigt haben.

Schon zweimal war die Schau der renovierten oder kopierten historischen Prospekte ein Großereignis im Meininger Theater. Das erste Mal, als der große Theatermann und Münchner Generalintendant August Everding Anfang der 1990er Jahre als Moderator ein Loblied sang auf die Meininger als Erfinder des modernen Regietheaters in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Und auf die Coburger Theatermaler Gebrüder Brückner, die die Illusionen von Wirklichkeit im steten Ideenaustausch mit Georg II. umsetzten. Sie waren zwar für die Bühnen des ganzen Landes tätig, aber die Beziehung zu den Meiningern war eine besondere. Das mussten auch Richard Wagner und seine Frau Cosima spüren, als die die Brückners beauftragten, 1876 die Bühnenbilder zum ersten "Ring des Nibelungen" zu gestalten und dazu noch die Decke des eben eröffneten Bayreuther Festspielhauses.
Um dieses Thema – die Beziehung von Georg II. zu den Brückners und den Wagners, Distanz und Nähe, drehen sich auch die Spielszenen, die in die Multimediashow (Videomapping: Tobias Mathes) immer wieder eingestreut werden. Matthias Herold als Georg II., Yannick Fischer als Max Brückner, Vivian Frey als Richard Wagner und Carmen Kirschner als Cosima übernehmen diesen Part zwischen den atemberaubend inszenierten Szenen- und Kulissenwechseln zu musikalischen Klängen aus Spätromantik und Moderne. Die Regie führt Gabriela Gillert, die zusammen mit Matthias Herold das Konzept entwickelt hat. Ausstatter ist Helge Ullmann.
Der stete Wechsel von Spielszenen und multimedialer Projektion ist nötig, um die Hintergründe dieser einzigartigen Zusammenarbeit sichtbar zu machen und gleichzeitig die Aufmerksamkeit des Publikums nicht wortlastig zu überfordern. Zitiert wird aus den Korrespondenzen der Künstler, aus Tagebucheintragungen, Briefen und aus den Skizzenbüchern des Herzogs, in denen er unzählige Inspirationen aus Landschaft, Natur und Architektur festhielt.

So wird die Zeit lebendig, die das europäische Theater grundlegend reformierte, ja revolutionierte. So wird das Ausmaß des umfangreichen Schatzes an Prospekten begreifbar, die sowohl des Brand des Theaters 1908 als auch den Zweiten Weltkrieg überstand. Heute findet man die weltweit einmalige Sammlung im Theatermuseum im Reitstall. Zum Bestand zählen weit mehr als 250 originale Prospekte, Kulissenbögen und Hängestücke. Allein die in der Schau in Originalkopie präsentierten oder fotografisch und filmisch projizierten Kunstwerke entwickeln einen immensen Sog für die Augen, verbunden mit der raffinierten Licht- und Soundtechnik. Man kann sich vorstellen, wie, zum Beispiel, der Burghofprospekt aus Shakespeares "Hamlet" aufs Publikum wirkte, wo hinter den erleuchteten Fenstern des Festsaals von Schloss Kronborg in Helsingør der Königsmörder Claudius seine Vermählung mit der Witwe des alten Königs feiert. Oder der Seeprospekt aus Schillers "Wilhelm Tell", mit der eindrucksvollen Wandlung von Licht- und Wetterstimmungen. Und besonders faszinierend: der Zauberwald aus Shakespeares "Sommernachtstraum", in dem man hinter jedem Busch und Baum Puck, Oberon, Titania und die ungezähmte Elfengesellschaft ihren Schabernack treiben sieht.
Das alles wird lebendig an diesem pausenlosen neunzigminütigen Abend, an dem man mit allen Sinnen spürt, wie bedeutend das Illusionstheater zum Finden der Wahrheit hinter den Kulissen sein kann. Auf den Brettern, die die Welt bedeuten, ebenso wie in der Traumfabrik Hollywood.
Nächste Vorstellungen: 18. April, 15 und 18 Uhr. Kartentelefon 03693 451222. www.staatstheater-meiningen.de