
Es ist vollbracht. Mit einem rauschenden Sommerfest im Englischen Garten – sämtliche Karten natürlich ausverkauft – endete die Meininger Theatersaison 2012/2013. Ob Ansgar Haag in den nun folgenden Urlaubswochen in seinem Häuschen im Allgäu aufatmen kann, ist eine andere Frage. In unserem Sommerinterview mit dem Intendanten des Meininger Theaters jedenfalls verriet er, er würde sich im Urlaub der Vorbereitung seiner „Rigoletto“-Inszenierung widmen. Von Ermüdungserscheinungen also keine Spur und das Alter – er ist jetzt 59 – spielt wohl auch noch keine tragende Rolle auf der Bühne seines Theaters.
Ansgar HAAG: Wie ich neulich in der Zeitung gelesen habe, bin ich schon längst über die Midlife-Crisis raus. Die endet doch mit 55.
Haag: Im Moment herrscht eher Aufbruchsstimmung.
Haag: Es ist so schwierig geworden, die alten Bahnen weiterzugehen. Die alten Leute fühlen sich mit 65 nicht mehr alt. Wo früher ein Seniorenbus organisiert wurde, fahren jetzt drei Freunde mit dicken Autos ins Theater. Das ist wunderbar. Wir haben diesen Trend zum Individualtourismus bei den Älteren ein bisschen verschlafen. Diese Individualtouristen ans Haus zu binden, ist eine große Herausforderung.
Haag: Mit dem Superintendanten Ulrich Burkhardt ist dieses Haus ganz wahnsinnig überregional als traditionsreiches Fortsetzungstheater des Georg II.-Theaters vermarktet worden. Und diese Tradition ist ein Markenzeichen, gegen das man nicht ankommt, ein Marketingzeichen, das mit Inhalten nichts zu tun hat. Ich versuche in jedem Interview – nächstes Jahr ist der hundertste Todestag von Georg II. – die Verdienste des Theaterherzogs hervorzuheben. Ich versuche den Marktstrategen zu sagen, dass, wenn Georg II. heute leben würde, er ein innovativer Regisseur in Hollywood wäre und 3D-Filme machen würde. Er war technisch innovativer als alle. Und jetzt wird von uns erwartet, dass wir auf „Retro“ schalten, weil doch der Herzog so schöne Prospekte hat. Der hat vor allem innovatives Theater gemacht! Das ist paradox!
Haag: Ja, sie ist generell konservativer geworden, hauptsächlich durch die junge Generation.
Haag: Sie ist konservativer geworden, weil junge Leute vom Theater nicht Innovation erwarten. Die erwarten sie im Internet, vielleicht im Fernsehen, vielleicht im Sport, vielleicht in der Mobilität. Die Erwartung ans Theater ist ein Stück Heimat, Tradition, Bildung. Junge Leute erwarten, dass man einen „Faust“ ein bisschen so erzählt, dass man auch was über die Zeit erfährt.
Haag: Ja, die erfolgreiche Jugendclubarbeit der vergangenen Jahre – Schultheatertage, Jugendclub – hat ganz klar Forderungen gebracht. Langsam bildet sich eine junge Szene um die Kammerspiele, die sagt: „Ihr habt dieses Haus, aber ihr macht ja gar nichts für uns.“
Haag: Im Moment haben wir kein Geld dafür. In dieser Spielzeit verzeichnen wir keine Zuwachsraten und deswegen ist mein überzogener Personaletat nicht wirklich finanziert. Es gab ungeplant ein ganz extremes Aufkommen an Gästen, bei den Wagner-Projekten, zum Beispiel, und beim Hair-Musical.
Haag: Ich sage es ganz heimlich: Vielleicht ist die von mir allein verschuldete Umbenennung von „Georgie's Off“ in „Kammerspiele“ nicht glücklich gewesen. Ich hab halt die Münchner Kammerspiele so gemocht. Wir bräuchten etwas, das für die hiesige Region den alternativen Raum verdeutlicht. Die Kammerspiele konnten im Schauspiel noch kein Profil entwickeln. Im Musiktheater, siehe „Rape of Lucretia“, hat es ja geklappt.
Haag: Ich glaube, wir machen hier gar kein Avantgarde-Theater. Ich glaube, wir müssen stärker zurück zu einem politischen Theater. Im deutschen Avantgarde-Theater steckt kein zeitgenössischer Aufklärungsgedanke, wie zum Beispiel in diesem wunderbaren Herrn Snowden, der jetzt, ganz traditionell, geheime Wahrheiten an die Öffentlichkeit bringt.
Haag: Aber das Theater sollte durchaus einen aufklärerischen Gedanken haben, etwas zu erzählen, was ein anderer gerade mal nicht gedacht hat. Nicht mit dem pädagogischen Zeigefinger, auch nicht mit dem Brechtschen „Ich hab die Lösung“. Nach wie vor ist mein Verständnis, dass das Theater nicht Antworten geben sollte, sondern Fragen stellen, wenn es Glück hat, die richtigen.
Haag: Dieses Problem hatte schon Brecht. Die „Dreigroschenoper“ ist für mich die Manipulationslösung von politischem Theater: Man gibt dem Publikum die Musik und die Gstanzln, die es hören will, und die politische Botschaft kommt über den Umweg.
Haag: Ich würde das gar nicht so sehr ausschließen. Das Theater steht in einer, sagen wir mal süddeutschen Tradition, die vielleicht mit Franken mehr zu tun hat als mit Erfurt und Weimar. Aber ich kann nicht so tun, als wären wir hier ein bayerisches Theater, auch wenn die Abonnenten zu ganz großen Teilen aus Franken kommen, fifty-fifty würde ich sagen, mit steigender Tendenz. Es kommen weit mehr Busgruppen aus fränkischen Dörfern ins Theater als aus Thüringen. Das zeigt fast, dass es eben zwei „nordfränkische“ Theater gibt: Coburg und Meiningen. Natürlich dürfen wir nicht das hiesige Publikum unterschätzen. Auch in Südthüringen haben wir Zuwachsraten, vor allem aus dem Wartburgkreis. Aber wir haben es kaum geschafft, Abonnenten aus Suhl zu bekommen, das ja zu DDR-Zeiten Bezirkshauptstadt war.
Haag: Nach der Abschaffung des 13. Schuljahrs ins Bayern hat sich die Situation schnell und ganz radikal verschlechtert. Die Lehrer haben nur noch gejammert: „Wir können nicht mehr ins Theater. Dieser Leistungsdruck!“ Seit diesem Jahr haben wir wieder einen Lehrerstammtisch der fränkischen Schulen, wir haben wieder Schulgruppen aus Bayern. Und vergangene Woche schrieb mir das Münchner Kultusministerium, dass nach wie vor alle bayerischen Schulen auch den Schulbus nach Meiningen gefördert bekommen. Es gab das Gerücht, dass die bayerischen Schulen nach Würzburg oder Coburg ins Theater fahren müssen, aber keine Zuschüsse für Fahrten nach Meiningen erhalten. Das ist jetzt mit offiziellem Bescheid null und nichtig.
Haag: Ich bin ein bisschen müde wegen diesem Stress mit den beiden Theatern. In Meiningen haben wir diese Spielzeit auf ganz hohem Niveau keine Zuwachsraten mehr. In Eisenach habe ich innerhalb von drei Jahren die Zuschauerzahlen verdoppelt, von 42.000 Zuschauern auf 88.000. Das hat in ganz Deutschland noch kein Intendant geschafft. Da darf ich mich mal selber loben.
Haag: Mir wär's lieber, wenn ich ihn für meine künstlerischen Erfolge in Meiningen bekäme. Denn Eisenach ist Stress, Hin- und Herfahren, unsere Künstler werden dadurch nur belastet. Und dann fangen politische Kräfte in Thüringen wieder mit der Diskussion an: „Braucht man dieses Theater?“ Das fördert die Frustration im Haus. Und das in einer Zeit, in der sich die Eisenacher Bürger wieder für ihr Theater entschieden haben.
Haag: Planen kann man ja nur, wenn man ein Angebot bekommt, aber: Ich würde weitermachen. Es wär ein Blödsinn, was anderes zu sagen, denn so denk ich im Moment.
Zahlen
In der Spielzeit 2012/2013 gab es am Meininger Theater 480 Vorstellungen mit 147 525 Besuchern. Das entspricht einer Platzausnutzung von etwa 76 Prozent. Der Vergleich zur vorhergehenden Spielzeit hinkt, vor allem weil das Große Haus erst im Dezember eröffnet wurde und alle Open-Air-Vorstellungen im Park mit in die Statistik eingehen. Insgesamt verzeichnete die Spielzeit 2011/12 in 553 Vorstellungen 151 058 Besucher. Die Abonnentenzahlen haben sich kaum verändert. Intendant Haag: „Stabil auf hohem Niveau.“ sis