Der tragische Tod einer 59-jährigen Patientin, die sich vor über drei Jahren einer Operation in der Herz- und Gefäßklinik unterzog, wurde, wie in unserer gestrigen Ausgabe bereits im Frankenteil berichtet, vor dem Schöffengericht in Bad Neustadt als Fall von fahrlässiger Tötung verhandelt.
Ins Visier der Justiz war der Vorfall geraten, weil der Arzt, der den Totenschein ausstellte, ein Kreuz machte bei „nicht natürliche Todesursache“. Es waren also nicht die Angehörigen, die das Verfahren ins Rollen brachten. Sie traten auch nicht als Nebenkläger auf und blieben dem Prozess fern.
Dem Angeklagten, einem heute 31-jährigen Arzt, der damals als Assistenzarzt hospitierte und heute nicht mehr in der Region lebt, wurde Folgendes vorgeworfen: Als zweiter Assistent bekam er bei der Operation an der Halsschlagader (für die Klinik ein Routine-Eingriff) vom Operateur die Aufgabe, die Klemme, mit der das Gefäß für die Dauer der Operation verschlossen wurde, etwa 25 Minuten lang ruhig zu halten.
Schlagader abgerissen
Nach Aussage des operierenden Arztes übergab er die Klemme an den Angeklagten und wandte sich dann dem Zuschnitt künstlicher Streifen zu, die in die kranke Ader eingesetzt werden sollten. Plötzlich habe er gesehen, wie der Assistent die Klemme hochhielt und bei der Patientin die Schlagader abgerissen war. Der Operateur reagierte sofort, stillte die Blutung, konnte aber nicht verhindern, dass die Frau einen Schlaganfall erlitt, dessen Folgen sie eine Woche später im Klinikum Meiningen erlag.
Schwierig für das Gericht wurden Wahrheitsfindung und Beurteilung der Schuld vor allem dadurch, dass der angeklagte Arzt keine Angaben machte. So mussten alle Verfahrensbeteiligten einschließlich der sachverständigen Mediziner versuchen, sich ein Bild von der Situation zu machen, um so Rückschlüsse ziehen zu können.
Ruckartige Bewegung
Für den Operateur gab es nur eine Erklärung, warum die Halsschlagader abreißen konnte: Der Arzt muss eine ruckartige Bewegung ausgeführt haben. Davon gingen auch die anderen Operationsbeteiligten aus, von denen aber niemand den folgenschweren Moment gesehen hatte.
Insgesamt verlief die Operation bis zum fatalen Augenblick normal, auch die unmittelbaren Folgereaktionen und die Verlegung in die Meininger Neurochirurgie stuften die Sachverständigen als korrekt ein.
Verwundern löste nicht nur das Schweigen des Angeklagten aus, sondern auch die Tatsache, dass er sich weder bei den Kollegen noch der Klinik noch den Angehörigen in irgendeiner Form entschuldigt hat. Die Schlussfolgerung, die der Oberstaatsanwalt zog, lautete: Es müsse sich um ein Augenblicksversagen gehandelt haben, das den Abriss der Ader herbeiführte. Einzuschätzen sei es als grobe Fahrlässigkeit, die mit einer Geldstrafe von 120 Tagessätzen zu 80 Euro zu ahnden sei.
Kein Eintrag im Führungszeugnis
Der Verteidiger sah den Anklagevorwurf in keiner Weise als erwiesen an und plädierte auf Freispruch. Wie bereits berichtet, verhängte das Schöffengericht eine Geldstrafe von 90 Tagessätzen und blieb damit mit Rücksicht auf die berufliche Zukunft an der Grenze zum Eintrag ins Führungszeugnis.
Auch wenn es bei der Patientin einige Besonderheiten gab, die die Operationsbedingungen erschwerten, habe sich keine andere Erklärung für den entscheidenden Punkt gefunden als eine Abrissbewegung des Assistenten. Verteidiger und Angeklagter ließen erkennen, dass sie gegen dieses Urteil rechtliche Schritte einleiten wollen.