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FLADUNGEN
„An der Grenze war immer was los“
Wer kann sich heute noch vorstellen, wie es war vor über 20 Jahren an der innerdeutschen Grenze? Erinnerungen auffrischen oder Neues erfahren wollen mehr als 60 Grenzgänger aller Altersstufen, als sie sich mit dem ehemaligen Grenzpolizisten Willi Dros auf eine Zeitreise in die Jahrzehnte der innerdeutschen Teilung ...
Der ehemalige Grenzpolizist Willi Dros ging mit einer großen Gruppe von Interessierten in der Fladunger Flur auf eine Zeitreise in die Vergangenheit – in die Zeit, wo die innerdeutsche Grenze noch Deutsche von Deutschen trennte.
Foto: FOTOS Marc Huter | Der ehemalige Grenzpolizist Willi Dros ging mit einer großen Gruppe von Interessierten in der Fladunger Flur auf eine Zeitreise in die Vergangenheit – in die Zeit, wo die innerdeutsche Grenze noch Deutsche von ...
Von unserem Mitarbeiter Marc Huter
 |  aktualisiert: 22.09.2009 17:27 Uhr

20 Jahre nach der Öffnung der innerdeutschen Grenze, die einst Deutsche von Deutschen trennte, wissen nur noch ältere Einheimische vom Grenzverlauf und dem Aussehen der Grenzanlagen. Eine ganze Generation mittlerweile hat das geteilte Deutschland gar nicht mehr erlebt. Umso wichtiger ist die Aufarbeitung der Geschichte – erst recht zum 20. Jahrestag der Grenzöffnung in diesem Jahr. Das Fränkische Freilandmuseum Fladungen hat sich der Aufarbeitung der Geschichte mit der Veranstaltungsreihe „Was niemand mehr für möglich hielt – 20 Jahre Grenzöffnung in Bayern und Thüringen“ angenommen.

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Über 60 Interessierte, sowohl aus Rhön-Grabfeld als auch dem Nachbarlandkreis Schmalkalden-Meiningen, waren zum Schwarzen Moor gekommen, um mit Willi Dros die Spuren der Vergangenheit zu suchen.

23 Jahre hat Dros Dienst an der Grenze auf westdeutscher Seite geleistet. Der Stützpunkt mit 28 Grenzbeamten, in dem Willi Dros beschäftigt war, überwachte insgesamt 24 Kilometer Landesgrenze – damit niemand die Linie, wie man damals sagte, verlässt. „Ein Fuß auf DDR-Gebiet und schon wurde drüben gnadenlos der Schießbefehl umgesetzt“, erzählt Dros, der die westdeutschen Bürgern davor schützen sollte.

Keine Bratwürste für Grenzer

Vom Kiosk am Schwarzen Moor ging die Wanderung aus. Hier, so erzählt Dros, habe es schon früher die berühmte Rostbratwurst gegeben. Als Grenzpolizist durfte man sich zwecks öffentlichen Bildes aber nie damit sehen lassen. Dros zeigte den Zuhörern, die allesamt bei der Grenzbegehung in Erinnerungen schwelgten, die originalen Grenzsteine, den genauen Grenzverlauf und das echte Dreiländereck, das Bayern, Hessen und Thüringen voneinander trennt.

Er erzählte von Birx, einem kleinen Dorf auf thüringischer Seite, das von drei Seiten vom Todeszaun begrenzt war. Oder von Frankenheim, das Dros „trist und grau“ erschienen war. Frankenheim beherbergte seinen Erzählungen nach riesige Abhörgeräte, die nur bei Nebel gewartet wurden, damit niemand auf der westlichen Seite davon Wind bekam.

Die sogenannte Badehose war ein schmaler Streifen DDR-Gebiet inmitten westdeutschen Areals und der gefährlichste Abschnitt an der Grenze bei Fladungen für Landwirte, Wanderer und Skifahrer. Denn auf DDR-Gebiet galt ein Schießbefehl. Für die heutigen Grenzgänger fast undenkbar.
| Die sogenannte Badehose war ein schmaler Streifen DDR-Gebiet inmitten westdeutschen Areals und der gefährlichste Abschnitt an der Grenze bei Fladungen für Landwirte, Wanderer und Skifahrer.
Bewohner im Grenzgebiet wurden wohl mit einer gewissen finanziellen Besserstellung von staatlicher Seite aus bedacht. Bei „Abtrünnigen“, die durch Prahlereien, staatsfeindliche Äußerungen oder ähnliches auffielen, konnte es jedoch durchaus sein, dass sie von heute auf morgen umgesiedelt wurden und anschließend Gerüchte – auch unter der Gürtellinie – über diejenige Person im Dorf verbreitet wurden. „Solche Lügen halten sich Jahrzehnte im Dorf und sind nicht wieder gutzumachen“, erzählte der ehemalige Grenzpolizist.

Auf dem sogenannten Kolonnenweg, der sich innerhalb der DDR-Grenzanlage befand, erinnert sich Willi Dros aber auch an viele schöne Momente, die er beim Dienst an der Grenze erlebte. Er konnte Flora und Fauna der Rhön genießen, und den Dienst auf Skiern im Winter nannte Dros ein Vergnügen.

„An der Grenze war immer etwas los“, erzählt der einstige Grenzbeamte, auch wenn vielen Menschen das Zonenrandgebiet als das Ende der Welt vorkam. Dros berichtetet von den Tätigkeiten der Forstarbeiter und der Landwirte und von den Aktivitäten der Wanderer, Skifahrer und Beerensucher, die – meist ungewollt – schon einmal in die Gefahrenzone kamen. Natürlich musste alles, was passierte, detailliert aufgeschrieben und berichtet werden.

Schießbefehl in der Badehose

Das gefährlichste Gebiet im Grenzbereich war die sogenannte Badehose – ein schmaler Streifen DDR-Gebiet, der in westdeutsches Hoheitsgebiet hineinragte und dadurch für die meisten Grenzgänger nicht sofort als DDR-Gebiet erkennbar war. „Dieser Bereich musste aus Sicherheitsgründen von uns sehr streng bewacht werden“, so Dros. Einen 14-jährigen Jungen, erinnert er sich, haben ostdeutsche Beamte in der Badehose angeschossen. Ein Teilnehmer berichtet von einer Wanderung mit seinem Hund im Grenzgebiet. Den Hund habe man, als er sich wohl kurzzeitig auf DDR-Gebiet befand, kurzerhand „abgeknallt“.

Manche machten sich den Spaß und warfen einen bayerischen Grenzstein ins DDR-Gebiet hinein, erinnert sich Dros. Wenn das passierte, musste hin und her telefoniert werden, bis nach einigen Tagen die Anweisung von der bayerischen Polizeizentrale kam: „Ein Mann in zivil darf am Montagmorgen zwischen 9 und 10 Uhr den Grenzstein zurückholen.“

Dros erklärt der Gruppe die Grenzsperranlage in allen Einzelheiten, berichtet vom 3,20 Meter hohen Grenzzaun, den man nach Fluchtversuchen unter der Erde mit Beton versehen hat, oder von den Todesapparaten, die noch in den letzten Jahren der DDR abgebaut wurden. Viele ältere Zuhörer erinnerten sich noch genau an die damalige Zeit und die Grenzsperranlagen. „Ich bin so froh, dass diese Zeit vorüber ist“, sagt eine Frau aus der ehemaligen DDR. Ein Mann aus Bayern entgegnet: „Man kann es drehen und wenden: Wir können uns glücklich schätzen, dass die Teilung von Deutschland Geschichte ist.“

Im Blickpunkt

Weitere Veranstaltungen Am kommenden Samstag, 26. September, wird nochmals eine Grenzbegehung mit Willi Dros angeboten. Treffpunkt ist um 14.30 Uhr am Kiosk am Schwarzen Moor. Das Veranstaltungsprogramm des Fränkischen Freilandmuseums Fladungen "Was niemand je für möglich hielt – 20 Jahre Grenzöffnung in Bayern und Thüringen" wird am 25. September fortgesetzt, wenn Landolf Scherzer um 20 Uhr im Ausstellungsraum der Sonderausstellung „Grenzfälle“ aus seinem Buch „Der Grenzgänger“ vorliest. Am 3. Oktober zeigt Kreisheimatpfleger Reinhold Albert einen Lichtbildervortrag mit dem Titel „Zur Geschichte der Grenze und ihrer Öffnung“. Den Abschluss der Veranstaltungsreihe bildet die Sendung "Bayern 1 Volksmusik live" aus dem Museumsgasthof „Zum Schwarzen Adler“ am 9. November.

 
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