Ein Theater mag zwar „Musentempel“ genannt werden, in dem das Gute, Wahre und Schöne nach Herzenslust gedeihen kann. Doch die missliche finanzielle Lage, die vergleichsweise bescheidene Entlohnung, Nachwuchsmangel und Überalterung in manchen Gewerken und der stetig wachsende Erfolgsdruck setzen vielen Häusern zu.
Erste Zwischenbilanz nach einem halben Jahr
Umso bemerkenswerter ist da ein bundesweit bisher einmaliges Projekt, das sich der „Gesundheit am Theater“ widmet: Seit einem halben Jahr kooperieren das Meininger Staatstheater und der Campus Bad Neustadt des Rhön-Klinikums in Sachen Prävention, interdisziplinärer Behandlung, Nachsorge und Rehabilitation von berufsbedingten Erkrankungen. Für mindestens eine Spielzeit angelegt, soll das Projekt bis zu vier Jahre laufen. Nach einem halben Jahr der Zusammenarbeit haben die Initiatoren – Chefarzt Prof. Dr. Sebastian Kerber, Intendant Ansgar Haag, Projekt-Koordinatorin Monika Gaggia und Detlef Dreßler, Orchestervorstand der Meininger Hofkapelle - erstmals Zwischenbilanz gezogen.
Dass das Projekt so schnell umgesetzt wurde, ist nicht zuletzt der musikalischen Leidenschaft von Klinikchef Kerber zu verdanken. Der Internist und Kardiologe wollte, bevor er sich entschied Arzt zu werden, eine Laufbahn als Geiger einschlagen. Und da ist die geografische Nähe: Der Campus Bad Neustadt des Rhön-Klinikums mit seinen Fachkliniken für Herz- und Gefäßkrankheiten, Neurologie, Psychosomatik, Suchterkrankungen, Hand- und Schulterchirurgie liegt nur 30 Kilometer Luftlinie vom Meininger Staatstheater entfernt. Die Kosten für das Projekt – Beratungsstunden und Fahrtkosten der Koordinatorin – teilen sich Theater und Klinikum.
Verspannungen, Burnout, Versagensängste
Seit September hat Monika Gaggia viele der 300 Mitarbeiter der verschiedenen Gewerke kennengelernt. An einem Tag im Monat steht Gaggia, die selbst Cellistin und Fachfrau für einen ganzheitlichen musikphysiologischen Ansatz ist, am Theater für vertrauliche Gespräche zur Verfügung. 70 Mitarbeiter hat sie an Fachärzte, Physio-, Psychotherapeuten und andere kompetente Helfer weitervermittelt. Am häufigsten aufgrund orthopädischer Probleme – vor allem bei Musikern und Bühnentechnikern –, Verspannungen im Rückenbereich und in den Hand- und Armgelenken. Dazu kommen psychosomatische Beschwerden unterschiedlichster Art, Burnout, Auftritts- und Versagensängste, Tinnitus, Stresssymptome und Schlafstörungen. Zur Vorbeugung bietet das Theater im alten Ballettsaal des Hauses nun Yogaunterricht an. Bald soll es Räume für Physiotherapie geben. Weitere Angebote, so Gaggia, sind in Vorbereitung.
Weniger Mitarbeiter, mehr Vorstellungen
Anfangs, sagt die „Lotsin“, seien die Mitarbeiter noch misstrauisch gewesen. Inzwischen fühle sie sich als neutrale Vertrauensperson anerkannt. Das Betriebsklima im Haus – Mitarbeiter und der Intendant selbst berichteten darüber - sei seit geraumer Zeit durch einen Wechsel in der Verwaltungsleitung, die enorme Arbeitsüberlastung in einigen Abteilungen und Mängel in der Disposition gestört. Hat sich doch, so Intendant Ansgar Haag, die Zahl der Vorstellungen pro Spielzeit seit Beginn seiner Amtszeit vor 13 Jahren von 420 auf mittlerweile über 550 erhöht – bei stetig steigendem Altersdurchschnitt der Belegschaft und sinkender Mitarbeiterzahl. Was noch vor wenigen Jahren 350 Theaterleute bewältigten, müssen jetzt 300 stemmen. Haags Appell richtet sich deshalb an die Kultur- und Finanzpolitiker, sie müssten Arbeitsüberlastung und drohende Berufskrankheiten als mittelfristig existenzbedrohend für die Theater anerkennen und entsprechende Mittel zur Verfügung zu stellen.
Ganzheitlicher Anspruch „einmalig“ in der deutschen Theaterlandschaft
Ob das Projekt „Gesundheit am Meininger Theater“ in der nächsten Spielzeit fortgesetzt wird? Das hängt unter anderem davon ab, wie die Mitarbeiter im Sommer, nach der Orientierungsphase, das Angebot und seine Wirkung auf Gesundheit und Betriebsklima in einem Fragebogen bewerten. Nachdem Musiker der Meininger Hofkapelle seit einigen Jahren Gesundheitsseminare des Rhön-Klinikums besuchen, hatte es nahe gelegen, ein Projekt für alle Gewerke anzubieten. Mit seinem Ganzheitsanspruch sei es – so Haag und Kerber - bisher einmalig in der deutschen Theaterlandschaft. Ein ähnliches Konzept zwischen der Berliner Charité und einem Orchester war bereits in der Ideenphase gescheitert. Der Meininger Hornist und Orchestervorstand Detlef Dreßler, Mitglied im Bundesvorstand der Deutschen Orchestervereinigung (DOV), hatte davon gehört und die Idee mit nach Thüringen genommen.