Grenzöffnung und Mauerfall am 9. und 10. November 1989 sind Sternstunden der deutschen Nachkriegsgeschichte. Jahrzehntelang war die Schanz mit dem Grenzübergang zwischen Eußenhausen und Henneberg für Bundesbürger ein Bild für das Ende der Welt. Bis schließlich vor 32 Jahren der Eiserne Vorhang fiel und sich für Zigtausende DDR-Bürger das Tor in den Westen öffnete.
Und dieses Tor führte nach Mellrichstadt, da der Stadt mit dem Grenzübergang im Stadtteil Eußenhausen eine Sonderstellung zukam. Als ein Übergang von insgesamt 20 entlang der rund 1400 Kilometer langen innerdeutschen Grenze war Mellrichstadt ein Fixpunkt. Zwischen Unterfranken und Thüringen waren Grenzzaun und Stacheldraht über 124 Kilometer aufgebaut und gespannt.
Der Moment, als der erste Trabi die Grenze überquerte
In der Nacht, als die ersten Besucher aus dem Osten die Grenze überquerten, war Georg Stock als Lokalredakteur in Mellrichstadt zur rechten Zeit am rechten Ort. Er hielt den Moment fest, als sich in den Morgenstunden des 10. November an der Schanz der erste Trabi aus dem Nebel seinen Weg in den Westen bahnte. Er schilderte dieses bewegende Erlebnis bei einer Podiumsdiskussion am vergangenen Samstag in der Oskar-Herbig-Halle, zu der die Stadt und das Aktive Mellrichstadt sowie Kreiskulturreferent Hanns Friedrich zahlreiche Zeitzeugen dieses historisch einzigartigen Vorgangs eingeladen hatten.
Sie alle gaben Einblick in eine Zeit, die für sie unvergessen bleibt, in der die Menschen in Ost und West von Glücksgefühlen überwältigt wurden und jeder auf seine Weise Momente erlebt hat, die sich in das Gedächtnis eingebrannt haben und an denen die Besucher der Veranstaltung teilhaben durften.
Die Angst war groß: Bleibt die Grenze wirklich auf?
In der Chronik der Stadt und in den Geschichtsbüchern werden auch nachfolgende Generationen den Weg in die neue Zeit nachverfolgen können. Und dabei auch erfahren, dass die Reiseerlaubnis in den Westen in den ersten Tagen noch ein fragiles Zugeständnis war. Immer wieder war damals in Gesprächen mit DDR-Bürgern die Ungewissheit und Unsicherheit herauszuhören, ob die Grenzöffnung überhaupt von Dauer sein wird. Im Laufe der ersten Tage hatten wiederholt Gerüchte die Runde gemacht, die Grenzsoldaten auf DDR-Seite hätten die Kontrollen bei der Ausreise angezogen oder gar verschärft. Die Angst, das Militär könnte eingreifen und die Grenze wieder dichtmachen, war jedenfalls latent. Dies bestätigte bei der Podiumsdiskussion ein Ehepaar aus dem thüringischen Sülzfeld, das seine persönlichen und familiären Verhältnisse in dem streng abgeschirmten Sperrgebiet in der ehemaligen DDR schilderte.
Und doch konnte nichts den Drang der Ostbürger nach Freiheit bremsen. Wenn Weihnachten, Ostern, Pfingsten und alle Jahrmärkte auf einen Tag gefallen wären, es hätte nicht mehr Betrieb in Mellrichstadt sein können. Am ersten Wochenende nach der Grenzöffnung herrschte in der Stadt an der Streu Ausnahmezustand, denn über 50 000 Besucher aus der DDR bevölkerten die Straßen. In diesen Tagen wurde Mellrichstadt aufgrund der Ströme von Trabis und Wartburgs zur Trabantenstadt, versunken unter der bläulichen Dunstwolke des Trabi-Zweitakters. Eine Filmsequenz von Hans Mihm rief in Erinnerung, was Zeitzeugen bis heute nicht vergessen haben.
Die Hilfsbereitschaft der Mellrichstädter kannte keine Grenzen
Die Freude der Menschen war unbeschreiblich, und die Hilfsbereitschaft der Rhön-Grabfelder gegenüber den Gästen aus dem Osten in diesen kalten Novembertagen war riesengroß. Was Bundeswehr, BRK und die Feuerwehr damals auf die Beine gestellt und zur Versorgung der Menschen geleistet hatten, darüber informierten Harald Sternberger, Harald Schellenberger und Hans Volkheimer die Zuhörer. So etwa, dass 150 Hektoliter Tee in der Zeit vom 9. November bis Weihnachten 1989 an die Ostbürger ausgeschenkt wurden, die sich dankbar mit dem heißen Getränk aufwärmten.
Altbürgermeister Helmut Will erinnerte sich, wie schnell die Stadtvertreter unter Bürgermeister Oskar Herbig damals reagiert und Begrüßungsgeld in der VG ausgezahlt hatten. Millionen D-Mark wurden damals in Mellrichstadt ausgezahlt, und viel Geld wurde auch gleich wieder in der Stadt umgesetzt. In den Einkaufsmärkten und Geschäften in Mellrichstadt herrschte Ausnahmezustand, die Supermärkte wurden über Wochen und Monate leergekauft. Manfred Hartwig, der damals den Neukauf in Mellrichstadt leitete, berichtete von 18-Stunden-Tagen und einem nicht enden wollenden Strom an Kunden.
Persönliche Erlebnisse bleiben für immer im Gedächtnis
Polizist German Schüler, der damals Nachtdienst hatte, berichtete von einer Stippvisite von vier jungen Burschen an der Grenze, die ausprobieren wollten, ob sie wirklich in den Westen fahren können. Auch Kollege Gerhard Bach kramte zeitgeschichtliche Anekdoten aus dem Gedächtnis. Metzger Herbert Ohibsky berichtete davon, wie er am 10. November Gäste zur Brotzeit mit nach Hause nahm, die um 6 Uhr am Marktplatz in Mellrichstadt gestanden und die neue Freiheit gekostet hatten. Peter Wukowojac, ehemals stellvertretender Vorsitzender des Vereins Aktives Mellrichstadt, schilderte die turbulenten Tage aus der Sicht der Geschäftsleute.
Die Erlebnisse aus dieser Zeit werden allen, die diese bewegenden Tage der deutschen Geschichte miterlebt haben, für immer im Gedächtnis bleiben. Die Glückseligkeit, die damals im Landkreis herrschte, fasste Landrat Thomas Habermann in Worte. Heute ist die Fahrt über den ehemaligen Grenzübergang auf der Schanz längst Gewohnheit. Vor 32 Jahren wurde hier Weltgeschichte geschrieben. Und Mellrichstadt war mittendrin.
Wie es ausgegangen ist, wissen wir ja nun alle.