Geschätzte 250 Besucher hatten sich am Mittwochabend auf den Weg zum Galgenturm zwischen Mellrichstadt und Eußenhausen gemacht, um alten Mellrichstädter Sagen zu lauschen, die der Leiter des Heimatmuseums, Rudolf Mauder, in seiner unnachahmlichen Art unterhaltsam vorzutragen wusste.
„Von Teufeln, Hexen und Gespenstern“ war an diesem Abend die Rede, wie sie in Volkssagen aus Mellrichstadt vorkommen. Mauder wollte nicht einfach nur eine Auswahl von Sagen vorlesen, sondern auch allgemein dem Phänomen dieser Volksdichtung nachgehen. Was wie eine volkskundliche Vorlesung hätte wirken können, verstand Mauder durch eine große Portion Humor, durch sehr persönliche Anekdoten und viele Querverweise von der Vorstellungswelt der Sage hin zur Gegenwart aufzulockern. Die Besucher hingen regelrecht an seinen Lippen, 90 Minuten lang hätte man eine Stecknadel im Gras fallen hören können.
Spannendes in den Spinnstuben
Mauders Hauptquelle für die Sagentexte war die Sammlung „Mellrichstadts Sagenkranz“ von Max Schweser. Volkssagen, erläuterte Mauder, wurden früher von Mund zu Mund weitergetragen, zum Beispiel in den Licht- und Spinnstuben, die früher üblich waren. Sie wären wohl längst in Vergessenheit geraten, wenn nicht Personen wie Max Schweser diesen „wertvollen Bestandteil unserer Volkskunst“ aufgezeichnet hätten.
Mauder sann über die Entstehung der Volkssagen nach: Merkwürdige Formationen in der Landschaft, rätselhaft gewordene Besonderheiten in den Ortschaften und natürlich auch historische Ereignisse oder Zustände haben die abergläubischen Menschen früher Erklärungen nicht in rationalen Überlegungen, sondern in einer pervertierten Religiosität suchen lassen. „Auch wir sind heute keineswegs völlig frei von Aberglauben“, sagte Mauder und verwies auf Botschaften in Glückskeksen und Horoskope, an die manche glauben. Die Menschen früherer Zeiten aber waren von ihrem eigenen Aberglauben ständig bedroht, bis hin zum Wahn der Hexenverfolgungen.
Zu den fantastisch-unglaubwürdigen Sagen zählte Mauder die vom Schimmelreiter auf dem Turm der Stadtpfarrkirche. Eher einen historischen Ursprung mochte nach seiner Einschätzung die Sage der „Sieben in den Hecken“ gehabt haben. Sieben ausgesetzte Babys seien angeblich in der Sommerleite in der Pestzeit des Dreißigjährigen Kriegs gefunden und von den Mellrichstädtern an Kindesstatt angenommen worden.
Rätselhaft war für Mauder das Sühnekreuz an der Hendunger Straße, auf dem merkwürdige Muster eingemeißelt sind, die Max Schweser für Teile eines Schlüsselbunds hielt. Sühnekreuze waren nach Mauders Erläuterungen ein Teil der Buße, die der Täter für Mord oder Totschlag hatte leisten müssen. Hier hätten sich dem Volksglauben nach angeblich zwei Pfarrersköchinnen mit ihren Schlüsselbunden gegenseitig erschlagen. Günther Trapp las diese Zeichen als die Jahreszahl 1659. Mauder hatte einen Gipsabdruck davon mitgebracht, den er seinen Gästen zeigen konnte.
Fantasievoll ausgesponnen sei auch die Sage vom Kreuz in der Stadtmauer bei der Badpforte, beurteilte der Leiter des Heimatmuseums Salzhaus eine weitere Erzählung. Angeblich habe hier ein Fähnrich während der schwedischen Besetzung Mellrichstadts im Dreißigjährigen Krieg seinen Vorgesetzten im Affekt erstochen.
Dass der Teufels- und Hexenglauben auch in unserer Gegend zahlreiche unschuldige Opfer gefordert hatte, wies Mauder durch verbürgte historische Berichte nach. Selbst ein Schwein konnte nach damaligem Glauben vom Bösen befallen sein und musste darum zerhackt und in die Streu geworfen werden. Die schwarze Katze im Stöffsgässlein soll eine echte Hexe gewesen sein, die in der Nacht ihr Unwesen trieb und das Vieh der Menschen peinigte. Der Teufel in Menschengestalt habe auch, der Sage vom Teufelsbrunnen am Endsee nach (heute der Entensee), ein hochmütig-stolzes Bürgermädchen geholt und in den Brunnen gestürzt, mit der unüberhörbaren Mahnung an junge Frauen, bescheiden und brav zu sein.
Moralischer Zeigefinger
Ähnlich moralisierend auch die Sage von der Lichtgestalt auf dem Mellrichstädter Kirchhof, wo angeblich eine gespenstische Frauengestalt umgehen muss, weil sie im Leben zu stolz war, je die Werbung eines Mannes anzunehmen. Der Abschreckung gedient hat wohl die Sage Dr Hond vürn Saalzhaus“, die Mauder frei in der gereimten Mundartfassung von Max Schweser zur Begeisterung der Besucher höchst lebendig rezitierte. Mit der Schauergeschichte vom schwarzen Hund sollten einst Salzdiebe vom Brügel ferngehalten werden. „Mit den Sagen wird ein Stück Mellrichstadt aus einer anderen Perspektive deutlich, Zeugnis für Erlebnistiefe, Phantasie und Einfallsreichtum der Menschen früherer Zeiten“, sagte Mauder. Er ließ aber keinen Zweifel daran, dass diese Denkweisen für uns Menschen von heute alles andere als vorbildlich sind.
Am Ende applaudierten nicht nur die Zuhörer dem ach so lebhaften Erzähler, auch Mauder lobte das mucksmauschenstill lauschende Publikum: „Ach, wären doch meine Schüler früher auch so aufmerksam gewesen wie ihr heute“, sagte der ehemalige Grundschullehrer mit einem Augenzwinkern.
Für die Bewirtung der vielen Gäste hatten einmal mehr die Mitglieder des Obst- und Gartenbauvereins Eußenhausen gesorgt. Dank zollte Mauder auch den Mitarbeitern des Mellrichstädter Bauhofs, die die Wiese vor dem Turm extra für diesen Abend gemäht hatten.