
Dieser Freitag ist ein Tag für Gartenfreunde. Die Sonne lacht vom blauen Himmel, die Tische voller Blumen und Pflanzen am Grünen Markt von Bad Neustadt leuchten rot, lila, gelb, weiß und rosa den Marktbesucherinnen- und Besuchern entgegen. Es ist ein rechtes Gewusel. Blütenstände werden taxiert, Farben verglichen, Auswahlen getroffen. Die Herrin über das grün-bunte Reich, Renate Wetz, behält über allem den Überblick.
"Schau, nimm lieber die Farbe, das passt doch viel besser zusammen", rät Renate Wetz der Kundin. Ihr Bamberger Zungenschlag hat Autorität. Und tatsächlich passen die beiden Geraniensorten besser zusammen.
Treue Männer muss man pflanzen
"Treue Männer muss man pflanzen. Und wenn es nichts wird, kommen sie halt auf den Kompost", sagt Renate Wetz am anderen Ende des langen Pflanztisches. Eine ältere Dame interessiert sich für Männertreu, der aufrecht wächst oder hängend, je nach Sorte. So humorig kennt man die Renate vom Markt. Auch an diesem Freitagvormittag ist sie nicht auf den Mund gefallen. Mit oranger Steppweste und brünettem Kurzhaarschnitt, in dem eine Sonnenbrille steckt, wuselt sie zwischen den Gängen hin und her. Dabei ist ihr nach schierer Heiterkeit gar nicht. Denn es ist, nach 35 Jahren, ihr letzter Tag auf dem Grünen Markt der Kreisstadt.
"Oh, es war heute sehr schwer für mich, hierherzukommen", sagt Renate Wetz. Um 3 Uhr in der Bamberger Gärtnerei die Waren einladen, mit dem Lkw und den Kollegen nach Bad Neustadt fahren, um viele Stunden auf den Beinen zu sein. Wenn nach fast 35 Jahren der letzte Tag gekommen ist, dann schmerzt einen das Herz.
Ein Honigrezept und Gärtnertipps
Und es wird nicht leichter, wenn an diesem letzten Freitag auf dem Grünen Markt so viele Stammkundinnen und Stammkunden Abschied nehmen. "Es ist schade, dass sie weggeht", sagt Gerhard Hein. Er ist mit seiner Frau Helene zum Grünen Markt gekommen. Sie verbindet eine langjährige, gute Beziehung. "Ich habe ihr mal ein Rezept für Löwenzahnhonig gegeben, Renate Wetz hatte immer gute Tipps fürs Gärtnern parat", weiß das Sälzer Ehepaar. Und eine letzte Umarmung für Renate Wetz darf an diesem Vormittag nicht fehlen.

In einer grünen Pflanzkiste sammelt sich unterdessen die Abschiedsgeschenke für die Verkäuferin. Auch eines vom Bürgermeister Michael Werner persönlich ist dabei und Renate Wetz zeigt es immer wieder ihren Stammkundinnen und -kunden. "Das ist schon beachtlich. Seit August 1988 ist sie dabei, ich bin im Dezember '88 geboren", erzählt der Bürgermeister. "Mein Opa war heute auch schon bei ihr. Er kommt immer mit dem Nessi-Bus aus Herschfeld, kauft bei ihr Blumen und geht dann ins Café", sagt Michael Werner.

Renate Wetz hat zu tun, den Ansturm zu bewältigen. Das gute Wetter für Gartenliebhaber und das Wissen vieler treuer Kunden um ihren letzten Tag kommen geballt zusammen. Waltraud von Schalscha-Ehrenfeld hat eine gute Flasche Frankenwein mitgebracht für ihre Lieblings-Blumenverkäuferin. "Liebste, ich werde dich vermissen", sagt eine andere Kundin.
Ein Schlaganfall veränderte alle Pläne
Manches Lob wird mit einem Lächeln schnell eingepackt. Dann wieder merkt man, wie Renate Wetz an sich halten muss, damit die Tränchen nicht herunterkullern durch das braungebrannte Gesicht hinunter auf das Männertreu. Ja, Männertreu! Eigentlich wollte sie noch ein Jahr arbeiten als Blumenverkäuferin beim Bad Neustädter Grünen Markt. Doch nach einem Schlaganfall ist ihr Ehemann zum Pflegefall geworden. Um ihn möchte sich Renate Wetz nun intensiv kümmern. Deshalb das Ende als Verkäuferin auf dem Grünen Markt.

"Ich weiß schon: Enzian und Edelweiß für das Grab des Vaters", ruft Renate Wetz einer anderen Kundin zu, die kein einziges Wort sagen muss. Renate Wetz kennt ihre Kundschaft, und das seit 35 Jahren. "Ich kenne viele Leute schon, seit sie Kinder waren", sagt die Verkäuferin, die selbst schon als Jugendliche die Leidenschaft für Grünes entdeckt und ihr Hobby zum Beruf gemacht hatte.
Corona ist auch eine Erdbeer-Sorte
Fachlich ist sie stets auf dem Stand der Dinge. "Das ist eine verbesserte Züchtung der Senga-Sengana-Erdbeere mit größeren Früchten. Oder sie nehmen die Sorte Corona", berät Renate Wetz eine Kundin, um wie nebenbei von einem anderen Ehepaar einen Abschiedsgruß entgegenzunehmen. Der letzte Arbeitstag der "Renate vom Markt" hatte sich schnell herumgesprochen.

Hinter ihr bedient Reinhold Kübrich, der Chef, seine Kundschaft, auf dem Kopf natürlich seinen markanten Hut. Kübrich und seine Kollegin Wetz waren einmal auf einer Goldenen Hochzeit in Mühlbach bei Familie Mölter eingeladen. Man hat die beiden, vor allem den Chef ohne Hut, gar nicht erkannt. Auch diese Episode zum Schmunzeln wurde in Erinnerung gerufen, mit einer herzlichen, kräftigen Umarmung zum Abschied.
Sommerflor und Gottesaugen
"Seid nicht traurig, es gibt ja eine Nachfolgerin. Sie redet allerdings nicht so viel wie ich", tröstet Renate Wetz mit einem Bamberger Fränkisch vom Feinsten, um sogleich wieder die nächsten Kundinnen und Kunden zu bedienen, Geranien zu packen, den Sommerflor oder die Gottesaugen. "Ich weiß alles, und der himmlische Vater auch", witzelt Renate Wetz, die aber auch wirklich um keinen Rat verlegen ist an diesem Freitag, ihrem letzten auf dem Bad Neustädter Marktplatz.

Jutta und Alois Breitung haben sich eingefunden. Sie hätten ihrer Lieblings-Verkäuferin gerne einen Kaffee vorbeigebracht, wie sie es in vielen Jahren immer getan haben. Aber heute hat Renate Wetz schon viele Kaffee-Becher an ihrem Tisch stehen, in dem sie Blumen zusammenstellt und Aufträge registriert.
Der Marktplatz ist ein Stück Heimat geworden
Es ist richtig heiß geworden an diesem letzten Freitagvormittag. Und Renate Wetz ist nach all dem Händedrücken schon heiß ums Herz. 35 Jahre lang zweimal die Woche den Marktstand in Bad Neustadt zu bestücken, das bedeutet viel Lebenszeit in der Saalestadt. Der Marktplatz ist der Frau, die bald 65 wird, dann doch sehr zu einem Stück Heimat geworden.
Und nach allen flotten Sprüchen zu Männertreu und Sommerflor kommt am Ende ein Satz, der ganz ernst zu nehmen ist. "Ich sag's Euch: Wenn es mal so weit ist, dann muss auf meinem Sterbebildchen unbedingt der Bad Neustädter Marktplatz zu sehen sein", verfügt sie an ihre umstehenden Fans. Die Geranien, vor allem aber die Gottesaugen, leuchten froh und ohne jede Eile dazu.
