Der Blick zurück hat nichts Verklärendes. Wenn der heute 58-jährige Architekt Horst Sternheimer auf die Bad Neustädter Friedensinitiative zu sprechen kommt, in der er sich in den 80er Jahren engagiert hat, ist von Partystimmung oder witzigen Anekdoten keine Rede.
Und cool waren die Zeiten in seiner Erinnerung auch nicht, sondern eher „heiß“. Heiß deswegen, weil die Aktivitäten in einer real empfundenen Bedrohung durch atomar bestückte Raketen jenseits und diesseits des damals noch voll intakten eisernen Vorhangs ihren Ursprung hatten. „Und wir waren mittendrin,“ sagt Sternheimer, der nicht nur Veranstaltungen auf dem Marktplatz in Bad Neustadt mit organisierte, sondern zum Beispiel auch bei der Vorbereitung der Großdemonstration gegen das so genannte Fulda Gap dabei war.
Dieses Gebiet östlich der Bischofsstadt hielten die Amerikaner in ihren Planspielen für den Ernstfall für das ideale Angriffsgebiet des Warschauer Paktes. Dementsprechend groß sollten die Verteidigungsanstrengungen sein, inklusive Waffen mit Atomsprengköpfen. Es braucht keine große Fantasie, um sich vorzustellen, was in solch einem Fall mit den Bewohnern dieses Gebietes passiert wäre.
Gut 20 Leute zählte der harte Kern der Friedensinitiative, die nicht nur mit einem großen Fest Anfang Juli 1984 auf dem Marktplatz Aufsehen erregte, als dort ein selbst zusammengezimmertes Modell einer Pershing II-Rakete zunächst aufgebaut und dann im Laufe der Veranstaltung „abgerüstet“ wurde.
Initiativen, die nicht bei jedermann auf Wohlwollen stießen. „Widerstände waren schon da“, erinnert sich Sternheimer. Und verdächtig ob ihres politischen Engagements war die Gruppe staatlichen Stellen wohl auch. „Wir sind viel fotografiert worden, damals“, sagt Sternheimer, der aber auch einräumt: „Wir haben die Demonstrationsfreiheit ausgenutzt, so weit es ging.“
Wobei er mit „wir“ nicht nur die Friedensinitiative meint. Die war Teil einer Protestbewegung, die in der Nachfolge der 68er stand und die schließlich auch zur Etablierung der Grünen-Partei führte. Heftig umstritten war auch die friedliche Nutzung der Atomkraft. Zum Teil bürgerkriegsähnliche Auseinandersetzungen mit der Staatsgewalt in Wackersdorf, wo eine atomare Wiederaufbereitungsanlage entstehen sollte oder in Brockdorf, das für ein Endlager vorgesehen war, gab es zu jener Zeit häufiger.
Das Engagement von damals in Rhön-Grabfeld hält Sternheimer heute noch für richtig. „Ohne die beidseitige Friedensbewegung wäre das mit der deutschen Einheit nicht so gelaufen“, ist er überzeugt.
In progressiv gesinnten Kreisen war es damals Mode, aufs Land zu ziehen. Sternheimer hatte gerade sein Studium abgeschlossen, als er das alte Haus in Mühlfeld fand, das er heute noch bewohnt. „Es ging darum, ökologische Lebensmodelle zu realisieren und natürlich auch um billigen Wohnraum“, nennt der gebürtige Aschaffenburger die Gründe für die „Stadtflucht“. Dass heute viele junge Leute den entgegengesetzten Weg gehen, kann er aber auch verstehen. „Die analysieren viel intensiver die Vor- und Nachteile.“
Das seinerzeit noch renovierungsbedürftige Anwesen entwickelte sich schnell zum Sitz der Kulturwerkstatt, die durch zahlreiche Veranstaltungen auf sich aufmerksam machte. Entsprechend frequentiert war die Adresse in Mühlfeld, sehr zum Interesse von möglicherweise auch etwas weniger Kulturbeflissenen. Von einem ehemaligen Polizisten hat Sternheimer viel später erfahren, dass damals die Nummer von jedem Auto notiert wurde, das vor seinem Haus geparkt hat. Nur positive Erinnerungen hat er dagegen an die Einwohner des Dorfes in dieser Zeit. „Die haben uns ganz toll aufgenommen.“