
Es gibt deutlich schlimmere Termine für einen Redakteur in diesen Zeiten. Offene Kneipentüren, eine frisch geweißelte Gaststube und eine Wirtin, die schon das Gedeck für den einzigen Gast liebevoll vorbereitet hat: ein schlankes, hohes Glas mit eisgekühltem Hefeweißbier.
Doch an diesem Dienstag, 27. April, an Anna "Anni" Röhrichs 80. Geburtstag, soll sich wirklich alles um diese jung gebliebene, alte Dame drehen. Um ihr abwechslungsreiches und bescheidenes Leben, ihre Familie und ihre Leidenschaft für ihr Gasthaus "Café Klein" in Brendlorenzen als Wirtin, Köchin, Buffet- und Servicekraft, als sprichwörtliches Mädchen für wirklich alles.
Das hat ihr schon damals viel Spaß gemacht
Und so hat es angefangen: "Die Anni", wie sie von Groß und Klein überall genannt wird, freut sich als junger Mensch auf ihre Ausbildung zum Zimmer- und Serviermädchen, die im Schloss Birnfeld bei Stadtlauringen stattfindet. Dort putzt sie, schleppt die Frühstückstabletts auf die Zimmer und bedient im Speisesaal. "Das hat mir damals schon richtig viel Spaß bereitet. Ich wusste sofort, das ist meins", sagt Anni Röhrich heute, über 60 Jahre nach dieser Zeit.

Weiter ging es im "Café Hundesmühl" in Bad Kissingen, zuvor war sie noch ein ganzes Jahr als Haushaltshilfe in der Familie eines Kinderarztes tätig. Doch dann passierte es. "Ihr" Karl lief ihr über den Weg, als Kurgast angereist aus Aachen. Verliebt, verlobt, verheiratet, so hieß das Spiel zu zweit. Als 1964 der Bund fürs Leben geschlossen wurde, kamen bald zwei Töchter zur Welt.
Karl Röhrich fand einen gut bezahlten Job in Bad Neustadt und Anni wirbelte sieben Jahre unter ihrem Chef Ludwig Hartmannsgruber über das Parkett der Neuschter Stadthalle. "Da hab' ich dann auch schon mal meinem Boss über die Schulter geschaut und daheim manches ausprobiert. Von ihm hab' ich jede Menge gelernt, das war ein Superchef“, lobt Anni Röhrich den ehemaligen Stadthallenpächter, der in ihr wohl die Lust am Kochen und Bewirten geweckt hat.
Ihre Hähnchen sind legendär
Mit diesem Rüstzeug wagte die Anni am 1. Mai 1971 den Schritt in die Selbstständigkeit: Lokal und Wohnung unter einem Dach, das passte für das junge Paar. Anni schmiss den Laden über fünf Jahrzehnte im Alleingang. Erst nach der Arbeit packte ihr Mann mit an, dort, wo er gebraucht wurde oder die Anni ihn hinstellte. Sie kassierte, zapfte, rannte, schaute nach den schmorenden Bratenstücken, würzte und frittierte ihre legendären halben Hähnchen und unterhielt sich auch mal mit den Gästen, unter denen viele zu Stammgästen wurden oder - wie Anni es gerne nennt - "zum Inventar" gehörten.
Zu dieser Art "Wohngemeinschaft" gehörte beispielsweise auch der Gottfried Johannes, ein ehemaliger Bauer aus Brendlorenzen, der nicht weit von Café Klein entfernt seinen Hof hatte und täglich "mindestens dreimal", so die Wirtin, zur Tür hereinspazierte. Dort traf er auch einmal auf den Brauereibesitzer Hubert Brust. Und nach ein paar Bier und einem fröhlichen Gespräch entwickelte sich eine lustige Wette. "Wenn der Gottfried", so der Karmeliterchef damals, "auf seinem Traktor in Frack und Zylinder zur Brauerei gefahren kommt, gibt's den Kasten Bier gratis." Logisch, dass sich der Gottfried am Tag darauf "sei Schöchtele" abholte, ordnungsgemäß gekleidet wie zu seiner eigenen Hochzeit.
Kneipenkönige gekrönt, Siege und Niederlagen begossen
Jede Menge Geschichten weiß Anni Röhrich zu erzählen, von Dutzenden Kappenabenden, Geburtstagspartys, Sängerkranztreffen, Stammtischen und Gymnastikgruppen. Kneipenkönige wurden im Café Klein gekrönt und Siege wie Niederlagen der Brendlorenzer Fußballer standesgemäß begossen.
Viele ihrer treuen Gäste hat die fleißige Wirtin in den letzten 50 Jahren kommen und leider auch für immer gehen sehen. Von ihrem Mann Karl musste sie sich vor sieben Jahren verabschieden. "Aber schön ist es, dass meine Tochter Andrea mir immer zur Seite steht, wenn's brennt - und das tut es Gott sei Dank oft", sagt Anni mit Stolz, "nur dieses schreckliche Hin und Her durch die Pandemie, das zerrt an meinen Nerven!"
So kann sie wegen der Beschränkungen weder ihren 80. Geburtstag, noch ihr 50. Jubiläum als Gasthauspächterin gebührend feiern. Aber sie wäre nicht die Anni, wenn sie nicht auch da einen Silberstreif am Horizont sehen würde. "Wenn das alles vorbei ist und wir alle geimpft sind, wird das Fest natürlich nachgeholt, vielleicht eine ausgelassene Sommerparty im Zelt oder so etwas ähnliches", freut sich die Anni auf die Rückkehr zum normalen Leben, auf all ihre Gäste und auf die vielen Gesichter, die sie so lange nicht mehr in ihren vier Wänden begrüßen und vor allem bewirten durfte. Denn an eines denkt Anni Röhrich selbstverständlich nicht: ans Aufhören.


