Als ich 1989 als Jugendliche zu meinem Austauschjahr nach Deutschland aufbrach, da war die Grenze zwischen der BRD und der DDR , zwischen Ost und West, zwischen Kommunismus und Freiheit eine Selbstverständlichkeit. Es gab für mich als damals 16-jährige Amerikanerin nur ein "Wir" und ein "Sie" - und "Wir", der Westen samt Nato waren die "Guten" und "Sie", die Sowjetunion und der Warschauer Pakt - das waren die "Bösen", die "bad guys".
Als Austauschschülerin, gefördert durch ein Programm des US-Kongresses und des Deutschen Bundestages, reiste ich in dem Bewusstsein nach Deutschland - genauer gesagt zur Familie Hartwig nach Kollertshof -, dass mein Austausch die Beziehung zwischen zwei freien, demokratischen Ländern stärken sollte, stärken würde.
Und anfangs war es auch ein ganz normaler Schüleraustausch. Neues Land, neue Sprache, neue Leute, neue Schule (in meinem Fall das Rhön-Gymnasium in Bad Neustadt) - es gab vieles kennenzulernen, gab viel zu erleben. Doch was ich dann erleben sollte, das hätte ich niemals erwartet, hätte damals wohl niemand je zu hoffen gewagt.
Unglaublich: "Die Grenze war offen!"
Vier Tage vor meinem 17. Geburtstag fand ich meine Gastmutter, Elsa Hartwig, alleine vor dem Fernseher sitzend. Das kam mir irgendwie seltsam vor. Dann sagte sie zu mir, ich sollte mich zu ihr setzen und unbedingt mit ihr die neuesten Nachrichten schauen. Und was ich da sah, das war wirklich unglaublich: "Die Grenze war offen!"
Meine nächste Erinnerung an diese turbulenten Tage ist die Masse an Trabis, die ich am folgenden Nachmittag in Bad Neustadt gesehen habe, die unzähligen DDR-Bürger, die über die so plötzlich offene Grenze zu einem ersten Besuch in den Westen kamen. Und es sollten noch viele unvergessliche Eindrücke folgen und Bilder, die ich bis heute nicht vergessen habe.
Briefmarken statt Begrüßungsgeld
So bin ich beispielsweise in der Woche nach der Grenzöffnung zur Post gegangen, um Luftpost-Briefmarken zu kaufen. Vor mir und hinter mir in der langen Schlange lauter DDR-Bürger, die dort ihr "Begrüßungsgeld" abholen wollten. Als ich an der Reihe war, musste ich dem verdutzen Postbeamten erst einmal erklären, dass ich "nur" Briefmarken wollte.
Später besuchte ich mit meiner Gastfamilie auch noch mehrmals die Grenzanlagen in der Rhön, aber dabei habe ich mich die ganze Zeit vor Landminen gefürchtet. Die "Kongress-Bundestag"-Austauschschüler-Gruppe hat im Winter dann auch noch eine - so im Vorfeld nicht geplante - Reise unternommen: Nach Berlin, um die - jetzt durchlässige - Mauer zu sehen (eigentlich war geplant, in die damalige Bundeshauptstadt Bonn zu fahren).
Angst vor Landminen und Fasching in Meiningen
Später habe ich unter anderem noch Fasching in Meiningen gefeiert - nach einem nervenaufreibenden Grenzübertritt, da keiner der jungen DDR-Grenzsoldaten so genau wusste, was mit einer Amerikanerin zu tun ist, die hier im "kleinen Grenzverkehr" einreisen will. Das Visum, das sie mir dann ausgestellt haben, befindet sich immer noch in meinem alten Reisepass - den habe ich natürlich aufgehoben.
Es waren einfach unglaubliche Tage, unglaubliche Wochen, die ich während meines Austausches in Deutschland erlebt habe. Und es fällt mir immer noch schwer zu glauben, dass ich - eine Ausländerin, eine Teenagerin aus North Carolina - bei diesem historischen Ereignis, in diesen Tagen, die die Welt veränderten, so hautnah dabei war.
Ach ja, meine Vermutung, dass mein Austauschjahr in Deutschland die Beziehung zwischen zwei freien, demokratischen Ländern stärken würde, hat sich für mich persönlich voll erfüllt. Ich habe Kollertshof seit damals über ein Dutzend mal besucht, auch meine Eltern, Großeltern, mein Mann und natürlich meine Kinder waren schon zu Gast bei meiner "zweiten" Familie, den Hartwigs. Und ich selbst konnte im Gegenzug zahlreiche Mitglieder meiner Gastfamilie in den USA begrüßen.