Schlechter könnten die Vorzeichen für eine Opernpremiere kaum sein: das Stück kaum aufgeführt, das Personal absurd, der musikalische Stil eine Mischung aus Oper, Jazz und Neuer Musik. Am Samstagabend versuchte sich die Stuttgarter Staatsoper an „Der Schaum der Tage“.
Mitten im ersten Akt wird es unruhig im Stuttgarter Opernhaus. Die Zuschauer recken die Hälse, sie schauen umher. Sie hören den Chor, doch woher kommt er? Schließlich die Auflösung: Die Sänger sitzen im Rang. Die Zuschauer wenden sich wieder nach vorne, einige genießen sichtbar den Surround-Sound-Effekt. Es ist noch die am wenigsten ungewöhnliche Idee an diesem Opernabend, an dem das Duo Jossi Wieler und Sergio Morabito mit „Der Schaum der Tage“ eine absurde Rarität in die Landeshauptstadt bringen.
Extravagant
Die Musik unter der Leitung von Sylvain Cambreling bietet eine experimentelle Mischung aus Jazz, Oper und Neuer Musik. Die Ausstattung ist knallbunt und detailverliebt, das Personaltableau absurd bis extravagant. Eine Kostprobe? Es treten auf: Ein Apothekerkaninchen, das Platinkarotten isst und danach Pillen aus dem After drückt, ein in roten Schuhen tanzender Kreuzigungs-Jesus als Hochzeitstänzer und eine männliche Hausmaus im Schulmädchenkleid. Etwas geordneter formuliert geht es um Colin, einen sorgenlosen und verträumten jungen Reichen (mit viel Applaus bedacht: der besonders schauspielerisch starke Stuttgart-Debütant Ed Lyon).
Er beginnt, sich im ausschweifenden Leben zwischen Dauerparty und Privatkoch nach der Liebe zu sehnen und plötzlich ist sie da: Chloé, die Traumfrau (Rebecca von Lipinski). Sie feiern eine schillernde Hochzeit, doch kurz darauf erkrankt Chloé an einer Seerose in ihrer Lunge, die nur, wenn Colin sie andauernd mit frischen Blumen umgibt, nicht wächst. Auch der Inhalt ist also reichlich metaphorisch, so dass der bislang fehlende Erfolg des Dramas bei all den Einfällen, Referenzen und Lust am genreübergreifenden Budenzauber nicht verwundert.
Zu dem 1947 von Boris Vian veröffentlichten surrealen Liebesroman schrieb Edison Denisov trotz Kultstatus bei den Linken der 1960er Jahre erst 1981 die Oper. Und selbst dann dauerte es noch fünf Jahre, bis diese in Paris Uraufführung feierte. In den folgenden Jahren wurde das Werk vor der Stuttgarter Version in Deutschland nur zweimal inszeniert.
In der Landeshauptstadt ist der bisher spärliche Erfolg der Oper am Samstagabend ohnehin kaum nachvollziehbar. Angesichts vieler „Bravos“ und starkem Applaus für Ensemble, Orchester, Chor und Inszenierungsteam hat „Der Schaum der Tage“ das gerne kritische Stuttgarter Premierenpublikum überzeugt.
Viel Interpretationsstoff
Vielleicht liegt das auch daran, dass das Werk für viele Zugänge offen ist: Wer das erste Mal mit Oper in Berührung kommt, für den könnten sich im erzählerischen Einfallsreichtum und mit den vielen Musikstilen neue Welten erschließen. Ausgemachte Kenner bekommen durch die assoziationsreiche Inszenierung viel Interpretationsstoff. Sicher ist, dass es ohne große Lust auf Neues nicht gehen wird.
Doch auch wer es eine Spur gemächlicher angehen lässt, bekommt seine Chance: Für nächsten Sommer kündigt sich eine Kinoversion an, deren Personaltableau hoffen lässt. Leinwand-Phantast Michel Gondry („Vergissmeinnicht“) inszeniert Vians Buch mit Audrey „Amélie“ Tatou und Romain Duris („L'Auberge Espagnole“) in den Hauptrollen.