Das Viertelfinale ist drin – mindestens! Darin sind sich Hubert Hinz, katholischer Pfarrer aus Bernsfelden, der aus Polen stammt, und die gebürtige Ukrainerin Oksana Bausewein, Musiklehrerin aus Bütthard, einig. In ihren Heimatländern beginnt am zweiten Juni-Wochenende die Fußball-Europameisterschaft.
„Die polnischen Fans sind heiß. Seit 30 Jahren, seit dem dritten Platz bei der WM 1982, müssen wir auf ein Erfolgserlebnis unserer Nationalelf warten.“ Hubert Hinz setzt vor allem auf die Zuschauer als „zwölften Mann“. Der Pfarrer schwelgt in Erinnerungen an die große polnische Mannschaft der 1970er-Jahre: mit dem genialen Spielmacher Kazimierz Deyna, an dessen Seite das Kraftpaket Henryk Kasperczak, im Tor der Weltklasse-Mann Jan Tomaszewski. Zur Gegenwart sagt er: „Unsere Vorrundengruppe ist gut machbar, wobei das Duell mit Russland wegen der bis heute schwierigen nachbarschaftlichen Beziehung besonders emotional aufgeladen sein wird.“
Als Stützen des polnischen Teams erwartet Hinz nicht nur das Dortmunder Trio Robert Lewandowski, Jakub Blaszcykowski und Lukasz Piszczek, sondern auch Slawomir Peszko vom 1. FC Köln. Der ist in der Bundesliga zwar durch schwache Leistungen und Alkohol-Eskapaden aufgefallen, doch als Fan von Lech Posen, wo Peszko bis 2010 gespielt hat, weiß Hinz um die wahren Qualitäten des Mittelfeldspielers.
„Mein EM-Favorit sind die Deutschen. Die habe ich immer bewundert, ihren Kampfgeist, ihre Konzentrationsfähigkeit – aber nun sind sie auch unglaublich spielstark“, wagt der Geistliche einen Tipp. Miroslav Klose imponiert Hinz besonders, weil er sehr mannschaftsdienlich spiele. Hoch im Kurs steht bei ihm auch Philipp Lahm: „Er bringt konstant gute Leistungen, und er ist kritikfähig.“ Es freut den in einem totalitären System aufgewachsenen Pfarrer, dass der deutsche Kapitän auf die Menschenrechts-Verletzungen in der Ukraine hingewiesen hat.
Als möglichen Schwachpunkt im deutschen Team hat Hinz Torhüter Manuel Neuer ausgemacht – der werde überschätzt. „Czech oder Casillas sind deutlich stärker.“ Zum Problem werden könne daneben Innenverteidiger Per Mertesacker, den er für zu langsam hält. Neben Deutschland nennt der Pfarrer die üblichen Verdächtigen als möglichen Europameister: natürlich Spanien, auch wenn mit Abwehrmann Carles Puyol und Stürmer David Villa zwei wichtige Stützen ausfallen. Aber es gebe ja Fernando Torres als Villa-Ersatz, und vom Weltmeister-Mittelfeld, vor allem vom Barca-Duo Andres Iniesta/Xavi, ist Hinz überzeugt. Dies gilt auch für die Offensiv-Abteilung der Niederlande, aus seiner Sicht der dritte heiße Titelkandidat. Sein Lieblingsspieler sei Stürmer Robin van Persie, während Bayern-Star Arjen Robben viel zu eigensinnig agiere.
„Die Ukraine kommt ins Halbfinale!“ Sehr optimistisch im Hinblick auf die EM-Chancen ihres Heimatlandes zeigt sich Oksana Bausewein. Sie versteht zwar wenig von Fußball, sagt sie, hat sich aber per Skype von ihrem Bruder Andrej briefen lassen, der in der Nähe der ostukrainischen EM-Stadt Donezk lebt. „Andrej Schewtschenko und Anatoly Tymoschtschuk waren schon überall und haben viel Erfahrung“, begründet sie ihren Optimismus. Dass die beiden Stars nicht mehr die Jüngsten sind, sei kein Problem. Zudem verweist Bausewein auf das oft unterschätzte Niveau der heimischen Liga. Und in der Tat: Neben Dynamo Kiew gibt es seit 2009 mit Schachtjor Donezk einen zweiten ukrainischen Europapokalsieger. Dazu komme der Heim-Vorteil und eine günstige Vorrunden-Gruppe: England, Frankreich und Schweden seien durchaus zu schlagen.
Als unbestrittenen Fußball-Held ihres Heimatlandes nennt Bausewein den jetzigen Nationaltrainer Oleg Blochin, auch wenn er in der 1970er- und 1980er-Jahren nicht für die Ukraine spielen konnte, sondern das Trikot der damaligen Sowjetunion trug. Schade, dass der frühere Weltklasse-Stürmer und Bayern-Schreck nicht 30 Jahre jünger ist, denn eines ist klar: „Als Trainer gewinnt man keine Spiele.“ Auf die Frage nach dem EM-Favoriten zeigt sich die Familie gespalten: Bauseweins Bruder setzt auf Russland, ihr Ehemann Martin auf Deutschland und sie selbst auf Spanien – aber Deutschland werde wieder das Endspiel erreichen. Zu den Aussichten des Gastgebers Polen meint Bausewein, die dürften mit der Ukraine ins Viertelfinale stürmen.
Zu einem spannenden Fußballabend gehört traditionell ein gutes Bier. Aber welches ist das Beste aus Polen und aus der Ukraine? Hubert Hinz nennt drei Lieblingssorten: „Lech“ wird in Posen (Westpolen) gebraut, „Zywierckie“ in Zywiec, im Süden, nahe der Grenze zu Tschechien und der Slowakei, und „Tyskie“ im oberschlesischen Tychow. Oksana Bausewein empfiehlt „Obolon“ aus ihrer ostukrainischen Heimat-Region und „Schernigowskoje“ aus dem Süden des Landes.
Oksana Bausewein und Hubert Hinz
Die 33-Jährige stammt aus einem kleinen Dorf bei Donezk. In der ostukrainischen Industrie-Metropole trägt Mit-Gastgeber Ukraine zwei seiner EM-Vorrundenspiele aus, zudem findet dort je ein Viertel- und ein Halbfinale statt. Oksana Bausewein hat in ihrer Heimat Musik studiert und kam 2003 nach Deutschland. Sie ist beruflich selbstständig als Inhaberin einer Musikschule. Oksana Bausewein ist mit einem Büttharder verheiratet, das Paar hat einen sechsjährigen Sohn. Der 45-Jährige ist im westpolnischen Wongrowitz geboren und aufgewachsen, in der Nähe von Posen, wo drei EM-Vorrundenspiele stattfinden. Hubert Hinz studierte in seinem Heimatland katholische Theologie und Philosophie und empfing 1993 die Priesterweihe. Seit 1996 lebt er in Deutschland und ist seit Oktober 2006 Pfarrer der Seelsorge-Einheit Igersheim, zu der auch die Kirchengemeinden Simmringen, Bernsfelden, Harthausen und Neuses gehören.
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