
In ihre 20. Saison startete die Reihe „Literatur im Schloss“ im Schlosscafé Bad Mergentheim mit einer Lesung von Jan Peter Bremer, der im Gespräch mit der Lektorin, Journalistin und Übersetzerin Beatrice Faßbender seinen Bildungsroman „Nachhausekommen“ vorstellte. Derzeit lebt der zweifache Familienvater in Berlin, von wo er mit sechs Jahren Anfang der 1970er Jahre mit seinen Eltern ins niedersächsische Wendland umsiedelte, im Jahr 1988 aber wieder in seine Geburtsstadt zurückkehrte.
Ein „Nachhausekommen“ könnte also die Rückkehr in seine Geburtsstadt sein. Doch eher steht der Buchtitel für die Verarbeitung von Kindheitserinnerungen, in diesem Fall von einer wechselhaften Kindheit mit einigen Umzügen und einer verkorksten Schulkarriere. Faßbender fragt den Autor nach einem literarischen Vorbild für diesen Roman. Bremer wiegelt ab und erwähnt dann Franz Kafkas „Brief an den Vater“, der ihn sehr beeindruckt habe.
Bremer schildert als Ich-Erzähler die Kindheit eines schüchternen, in der Schule gemobbten Jungen, der an seiner Einsamkeit leidet und sich unverstanden fühlt. Die in langen Satzkaskaden ausgebreitete Gefühlswelt des Kindes trägt starke autobiografische Züge; insbesondere auch deshalb, weil die geschilderte Vaterfigur Uwe Bremer ist, der als Künstler mit gleichgesinnten linksorientierten Intellektuellen die Werkstatt Rixdorfer Brücke gründete, die 1974 von Berlin ins dörfliche Zonenrandgebiet umzog.
Detailliert schildert der Autor Bloßstellungen und Ausgrenzungen eines zart besaiteten Kindes
Die Kindheitserinnerungen enden für den Erzähler mit dreizehn Jahren. Der Junge wird beherrscht von dem Gedanken, anders zu sein als die Kinder im Dorf, worüber er traurig und auf das er zugleich irgendwie stolz ist. Denn er sieht seinen Vater als erfolgreichen und reichen Künstler, der sich ein Anwesen mit einem Fachwerk-Schlösschen und einen wuchtigen „American-Station-Wagon“ leisten kann. Vor allem imponiert ihm dessen handwerkliche und künstlerische Begabung, während er sich selbst als „linkisch“ und „Stolpervogel“ sieht.
Die Dorfbewohner sind für ihn eher einfach gestrickte Landbewohner, die mit Ausnahme von zwei reicheren Bauern ein bescheidenes Leben führen. Andererseits hat er das starke Bedürfnis nach Anerkennung und Zuneigung; Bedürfnisse, die ihm seine Mutter auf ihre Weise, der dominante Vater jedoch kaum zu erfüllen vermögen. Doch zwischen den Zeilen klingt heraus, wie unverbrüchlich die Liebe zu den Eltern ist. Bei der Lesung verrät der Autor, dass sich sein Vater nach dem letzten Buch „Der junge Doktorand“ vor fünf Jahren so angegriffen gefühlt habe, dass er jeden Kontakt mit dem Sohn abgebrochen habe. In dem Roman stutzt der Schriftsteller ein aufgeblasenes Künstler-Ego „eiskalt“ auf das Normalmaß herunter. Nach dem Roman „Nachhausekommen“, so der Sohn, habe der Vater sich wieder mit ihm versöhnt.
Detailliert geschilderten Bloßstellungen und Ausgrenzungen eines zart besaiteten Kindes, das es eigentlich allen recht machen will, sind eine autofiktionale Aufarbeitung der eigenen Schulzeit des Autors. Der Junge klammert sich verzweifelt an die Hoffnung, dass er es später einmal wie seine Mutter sieht, für die ihre Schulzeit „die schönste Zeit ihres Lebens“ gewesen sei, „und da dies eigentlich allen Menschen so ging, würde auch ich mich nach dieser Zeit zurücksehnen.“ Eine naive Hoffnung, die sich für den Autor wohl nicht erfüllte.
Für Jan Bremer hat Schreiben etwas Befreiendes
Die Überforderung des Kindes bei der in linksliberalen Kreisen der 1970er Jahre propagierten antiautoritären Erziehung zur Selbstbestimmung, Kreativität und individueller Entfaltung der Persönlichkeit des Kindes wird bei einem Ereignis fast schon persifliert: Mit dem Spaten versucht der überforderte Junge ein Loch für sich und sein Kuscheltier so tief zu graben, „dass nichts mehr von uns sichtbar war.“ Die geschockte Mutter kommt hinzu und gerät in der Künstlerwerkstatt mit dem Vater in einen lauten Streit, der dann beendet wird: „So, wir beide bauen jetzt eine Hütte für dich“.
Insgesamt verstärkt sich bei den gelegentlich ermüdenden, ausufernden Schilderungen des Alltags der Eindruck, dass Bremer hier das Schreiben als etwas Befreiendes sieht. Im Gespräch mit Beatrice Faßbender ist von „Schatten auf der Seele eines Kindes“ die Rede. Der Vater als Patriarch, wie in dieser Zeit üblich, drückt der Mutter ihr Einkaufsgeld und dem Sohn sein Taschengeld in die Hand. Die alltäglichen Bedürfnisse werden eher beiläufig „gnädig“ erfüllt. Der Romanleser muss sich bis Seite 172 gedulden, bis der Junge mit einer „ulkigen“ Geschichte zum Geburtstag seiner Mutter den Eltern, und endlich auch dem Vater, ein Lächeln ins Gesicht zaubert.
Für den Leser wird es ein Aufatmen nach einer packenden Tauchfahrt ins detailreich geschilderte Aufwachsen und Erwachen eines lange verkannten Heranwachsenden. Jan Peter Bremer hat mit seinem Roman ein weitläufiges Haus gebaut, in dem man sich als Leser gelegentlich verläuft, aber eine emotional packende Zeit verbringen kann.