Die riesige Wolke aus weißer Ballonseide spielt mit dem Mädchen. Sie saugt es ein, spuckt es aus und verschlingt es schließlich ganz. Von dem monströsen Luftsack in der Eingangshalle des Zentrums für Kunst und Medientechnologie (ZKM) ist am Ende selbst kaum mehr was übrig. Denn die Tänzer, die am Schluss aus ihm herauskommen, falten ihn gehörig zusammen.
Die „Wolke“ ist Teil eines ungewöhnlichen Tanz-Kunst-Projektes, das von diesem Samstag an in Karlsruhe zu erleben ist.
Es ist eine Hommage des ZKM an die Choreographin und gebürtige Karlsruherin Sasha Waltz zum 20-jährigen Bestehen ihrer Berliner Tanz-Compagnie. Für ZKM-Chef Peter Weibel ist es auch der Moment, in dem sich „der Tanz als zeitbasierte Kunst“ mit der „raumbasierten Kunst“ zusammentut. Doch auch jenseits dieser Kunsttheorie ist die Performance-Schau sehenswert.
Bei dem Projekt „Sasha Waltz. Installationen Objekte Performances“ werden Elemente früherer Choreographien aus dem Bühnenkontext gelöst - und machen als selbstständiges Kunstwerk Karriere. „Meine Arbeit wird oft als Skulpturen in Bewegung beschrieben - die Herausforderung einer Ausstellung ist, Bewegung in eine Skulptur zu verwandeln“, sagt Sasha Waltz.
Das geschieht in der Installation der „Hängenden“, bei der die Tänzer teils kopfüber oder quer fast bewegungslos von der Decke baumeln - die Erstarrung als immense Kraftanstrengung. Nach einer Viertelstunde ist für die Tänzer Schicht, dann müssen sich andere Kollegen ans Seil hängen.
Belebtes wird unbelebt, Erstarrtes lebendig, der sichere Boden zum wackeligen Steg, der hellen Bühne folgt der tiefschwarze Raum - die Schau lebt von Gegensätzen und Überraschungen. Beim „Fries“ (2007) scheinen die Lehmfiguren aus der Wand zu kommen, bei „Mediterranean Sea“ sind die Schwimmer nur eine täuschend echte Illusion; die beiden Tänzer, die sich von der Seite anschleichen, aber wahrhaftig.
Bei einem Objekt aus „Insideout“ aus dem Jahr 2003 wird eine Frau von den Händen der Menschen ihres Stammbaums ergriffen, bei einer Installation mit gewaltigen Ventilatoren kann der Besucher selbst zum Kunstobjekt werden: je länger die offenen Haare und je flattriger die Kleidung, desto besser.
Die Ausstellung bietet einen Überblick über das Schaffen der international renommierten Choreographin und Ikone des modernen Tanztheaters - von neuen Arbeiten wie dem Objekt „Stab“ aus der jüngsten Erfolgsaufführung „Sacre“ in Paris bis hin zu Skizzenbüchern, die einen Blick auf die Entstehung ihrer Choreographien erlauben.
Mit der Schau - sie dauert bis zum 2. Februar - hat Waltz nach eigenen Angaben erstmals die Möglichkeit, die Bühne zu überschreiten und das Publikum teilhaben zu lassen. „Es ist eine Choreographie für den Zuschauer“, sagt die 50-Jährige.
Dabei soll jeder Zuschauer frei entscheiden, ob er nah ans Objekt geht, eventuell selbst dazu wird - oder ob er doch lieber Distanz wahrt.