Wenn Häuser Geschichten erzählen könnten, wäre es besonders interessant, was Haus Nummer 178, heute Hauptstraße 25, in Großrinderfeld aus fast zwei Jahrhunderten zu berichten hätte.
Da es in der Mitte Grossrinderfelds lag, bekam es so ziemlich alles mit, was im Dorf seit seiner Erbauung im Jahr 1827 geschah. Geschäftshäuser, Gaststätten, Werkstätten und öffentliche Gebäude bis hin zur Kirche lagen in seiner unmittelbaren Nähe.
Selbst hat das Haus auch eine erstaunliche Wandlung durchgemacht. Zwei Jahre nach dem Großbrand von 1825 wurde es von Andreas Leuchtweis an der Stelle des Vorgängergebäudes erbaut. Später ging das Haus über Dürr und Borst wieder an einen Leuchtweis.
Rund 100 Jahre nach dem Bau wieder in Leuchtweis-Besitz
1926 zog die Tochter der Familie Borst nach ihrer Heirat nach Tauberbischofsheim und verkaufte das Haus an ihren Cousin Ferdinand Leuchtweis. Der war seit vier Jahren verheiratet und Tüncher von Beruf. Er baute es um und wohnte dort mit Frau Ida und den Kindern.
1866 zogen die zurückkehrenden Württemberger Truppen am Haus vorbei, die gerade bei Tauberbischofsheim eine Schlacht verloren hatten. Stunden später folgten die Preußen in Richtung Würzburg und besetzten auf dem Weg dorthin Großrinderfeld.
Im Rathaus nebenan wurde die 1871 Gründung des deutschen Kaiserreiches gefeiert. 1912 beim großen Kaisermanöver zogen die Truppen friedlich am Haus vorbei. 1918/19 kamen die aus dem Ersten Weltkrieg heimkehrenden Soldaten vorbei. 1926 beim Reichswehrmanöver saß Reichspräsident Paul von Hindenburg in einer vorbeifahrenden Staatskarosse.
Auf dem Vorplatz vor Haus Nummer 178 kampierten Soldaten der Reichswehr. Zahlreiche Propaganda-Veranstaltungen der Nazis und Kundgebungen fanden am benachbarten Rathaus statt. Ab 1939 waren dort die Propaganda-Lautsprecher angebracht. Die Großrinderfelder Hauptstraße war während dieser Zeit in Adolf-Hitler-Straße umbenannt worden.
Zahlreiche Militärkolonnen donnerten am Haus vorbei
1945 fuhren US-amerikanische Lastwagen in schier endlosen Kolonnen am Haus vorbei. Zuvor hatten die abziehenden deutschen Soldaten einen Großteil ihrer Munition, besonders Handgranaten, in den Zwischengang zum angrenzenden "Milchhäusle" geworfen.
Während des "Kalten Krieges" fanden zahlreiche Manöver der US-amerikanischen Armee statt. Lastwagen und Panzer donnerten über die Hauptstraße. Im Kaufladen und im Wohnhaus vibrierten die Scheiben, die Gläser und das Geschirr in den Schränken.
Von Haus Nummer 178 hatte man in den Jahren 1908/09 sowie 1930 und 1952 einen guten Überblick über die Brände im Dorf. In der Silvesternacht 1908 brannte das sogenannte "kleine Dörfle" zwischen der Kirche und dem Dorfweiher ab.
1930 brannten in der Ecke Hauptstraße mit Grabenweg zahlreiche Scheunen und das Wohnhaus Spinner nieder. 1952 fiel nahezu ein ganzes Viertel zwischen Hauptstraße und Untertorstraße den Flammen zum Opfer. Seit 1948 war Ferdinand Leuchtweis Kommandant der Freiwilligen Feuerwehr, die gegen diese Großbrände nicht viel ausrichten konnte.
Nach 1980 wurde das alte Haus durch einen Neubau ersetzt
Ab Anfang der 1930er-Jahre vermietete Leuchtweis Zimmer an Lehrer und Kindergärtnerinnen. Vor dem benachbarten Rathaus war die Gemeindewaage installiert, wo Fuhrwerke mit Getreide und Kartoffeln regelmäßig gewogen wurden. Im Rathaus selbst befand sich eine weitere Lehrerwohnung im zweiten Stock, in der zuletzt Lehrer Hauk wohnte.
Mit dem wirtschaftlichen Aufschwung ab 1949 in der Bundesrepublik bot sich die Chance, dass ein Kaufladen ins Haus kam. Anton Scheiner, der spätere Ladenbetreiber, und Ferdinand Leuchtweis bauten das Haus dazu um. Der Hausgarten wurde zum Vorplatz.
Sofie Scheiner, Antos Schwester, zog als Verkäuferin in das Geschäft ein und betrieb es über mehrere Jahrzehnte. "Bei der Sofie", einem typischen Tante-Emma-Laden, gab es fast alles. Da ihre Schwester Marie mit dem "Obertorbeck August" verheiratet war, gab es ab 6 Uhr schon Brötchen, was viele Vorbeifahrende auf der Bundesstraße 27 zum Einkauf nutzten.
Nach 1980 wurden die Scheiners auch Eigentümer des Hauses. Als Sofie mit fast 90 Jahren "in Rente ging", wurde das Haus schließlich abgerissen und durch einen Neubau ersetzt. Heute beherbergt es ein Jalousien-Geschäft und weitere Mieter.
Milchhäusle, Gaststätten und Bushaltestellen in der Nähe
Alle Bushaltestellen nach Würzburg, Tauberbischofsheim, Karlsruhe und Mudau lagen direkt vor dem Haus und dem angrenzenden "Milchhäusle". Ankommende und wegfahrende Postbusse und deren Mitfahrer waren täglich zu beobachten. Schräg gegenüber gab es drei Gaststätten, die nicht nur an Sonn- und Feiertagen von Grossrinderfeldern regelmäßig genutzt wurden.
Im "Milchhäusle" lieferten die Großrinderfelder Bauern morgens und abends ihre Milch ab und kamen mit der Dorfjugend zum Informationsaustausch zusammen. Bis in die 1960er-Jahre gab es fast 100 Milchanlieferer. Neben der Milchsammelstelle der Gemeinde lag das alte Kaufhaus "Schweizer", das bis zuletzt im alten Stil betrieben wurde.
Zur Mittleren Gasse hin lag die Schmiede von Martin und Bernhard Schäfer, in der bis in die 1970er-Jahre noch Pferde beschlagen wurden. Unzählige Fahrzeugen fuhren auf der Bundesstraße 27 am Haus vorbei. Seit dem Bau der Autobahn von Heilbronn nach Würzburg ist die frühere Bundesstraße nur noch eine Landstraße.
Rund 100 Meter weiter lag der alte Kindergarten mit mehr als 50 Kindern, von denen ein Großteil auf dem Nachhauseweg an Haus 178 vorbei ging. Bis 1972 gingen die Bürgermeister Emil Weismann, Wilhelm Stolzenberger und Walter Richter im Rathaus nebenan ein und aus. Heute ist dort eine Bankfiliale untergebracht, das neue Rathaus befindet am Marktplatz.