Vielleicht lässt sich da noch was machen, hofft Bruder Jakobus. Mit Beamer und allerhand Unterlagen im Gepäck war der 66-Jährige auf dem Weg zu einem Vortrag über „Mystik am Bodensee“ – und hat in der Fußgängerzone geparkt. Jetzt ist ein Knöllchen reingeflattert. „Ich musste die Sachen ja schleppen“, rechtfertigt sich der Katholik augenzwinkernd, der sich vor mehr als 20 Jahren für ein Leben als Eremit, als Einsiedler, entschieden hat. Doch Vorträge und Autofahren – passt das zu den landläufigen Vorstellungen eines Eremiten? Bruder Jakobus setzt noch einen drauf: „Ich habe sogar Internet – aber ein ganz langsames wie auf dem Land leider üblich. Da staunen manche. Aber müssen Einsiedler Deppen sein?“, fragt er – und scheint Spaß daran zu haben, mit Klischees zu spielen. „Die einen wollen einen menschenscheuen Waldschrat sehen, die anderen einen Yogi auf einer fliegenden Matte.“
Beide Bilder passen nicht zu Bruder Jakobus Kaffanke, wie er sich seit dem Eintritt ins Benediktinerkloster Beuron 1983 nennt. Nach zehn Jahren in der Erzabtei und einem Intermezzo als Eremit im Tessin bekam er den Tipp, auf dem Ramsberg im Wald bei Heiligenberg nahe des Bodensees liege eine mögliche Klause. So heißen die abgeschiedenen Aufenthaltsorte der Einsiedler. Dort, wo früher eine Burg der Grafen von Pfullendorf stand, hat Jakobus mit einem Förderverein seine Unterkunft samt Kapelle eingerichtet. Er nennt sich „Hausmeister“. An der Klause wehen bunte Gebetsfahnen, auf dem Rasen stehen Tische und Stühle. Wenn die Sonne durch die Bäume scheint, schützt Jakobus seine kahle Kopfhaut mit einem Strohhut. Ein verschlungener, holpriger Steinpfad führt den Berg hinauf. Im Winter bleibt das Auto im Dorf stehen. „Weder Müllabfuhr noch Briefträger kommen dann.“
Die Strecke liegt an einem Jakobsweg. „Es kommen immer wieder Pilger vorbei, mit denen setze ich mich dann hin und bin für ein Gespräch offen“, sagt Jakobus. Ab und zu schallt Glockengeläut vom Dorf herüber, Vögel zwitschern, Hummeln summen. Ansonsten ist es still.
Rund 90 Eremiten leben in Deutschland, sagt Maria Anna Leenen, die das Portal „Eremiten in Deutschland“ verantwortet. Tendenz steigend, mehr Frauen als Männer. Unterschieden werden Ordenseremiten, dem Bischof unterstellte Diözesaneremiten und institutionell ungebundene Einsiedler. Das eremitische Leben als Vorgänger des Mönchtums reicht bis ins vierte Jahrhundert zurück. Im Erzbistum Freiburg bereitet sich gerade eine Kandidatin auf das Einsiedlerleben vor. Zudem leben dort laut Diözese vier Eremitinnen. Jakobus, den Erzbischof Stefan Burger seit einigen Jahrzehnten kennt, wirke mit seiner Persönlichkeit und Kompetenz in das Bistum hinein.
Meditieren, Beten, Arbeiten – so sieht der Alltag von Bruder Jakobus aus. Es gehe ihm um das Innere, das Unbewusste. „Man muss sich nach den möglichen Wegen und Sackgassen fragen. Das kann man lernen wie eine Fremdsprache.“ Und es ist aus seiner Sicht die eigentliche Verpflichtung der Mönche: „Wir haben den Luxus, die Zeit fürs Innere. Die Menschen erwarten von uns, dass wir die Kenner der geistlichen Wege sind.“ Diese ließen sich besser spüren, als in Worte fassen. „Man fängt an, in Geschichten, Gleichnissen und Bildern zu reden.“ Um anderen diese Erfahrung nahezubringen, gibt Bruder Jakobus Kurse in christlicher Zen-Meditation. Außerdem forscht und publiziert er zum frühen Mönchtum und hat mit der Stadt Überlingen als Ausstellung das Mystik-Projekt initiiert. „Ich will Menschen Mut machen, den inneren Weg zu suchen.“
Aber auch zu aktuellen Themen wie der Flüchtlingskrise und der Terrormiliz IS macht er sich Gedanken, sucht Lösungen. Ein Projekt, das der 66-Jährige gerne noch angehen würde: „Den Islam erfassen und verstehen. Aber das ist vielleicht etwas viel gewollt.“ Dass er diesen Weg geht, war nicht immer klar: Bei der Bundeswehr wollte er Offizier werden, was den Eltern nicht passte. Es folgten Jura- und Geschichtsstudium. Doch dann rebellierte der Körper, wie Jakobus es beschreibt. Heute würde man wohl von Burnout sprechen. Das war 1974. „Der Tag, wo mein Körper sagte, so geht es nicht weiter.“ Er habe zugelassen, dass etwas Neues kommt. „Wofür andere 25 Jahre meditieren, das ist mir in der Not quasi vor die Füße gefallen.“ Über die Kirche kam Jakobus zur Zen-Meditation im Kloster Beuron, studierte fortan Philosophie, dann Theologie. Heute, sagt er, sei die Erkenntnis von damals eigentlich eine ganz simple: „Sei einfach der, der du bist. Das ist das, was ich beim „Aufwachen“ mitgenommen habe.“