Er provozierte, ließ sich nicht vereinnahmen und experimentierte mit Gold und Uran: Sigmar Polke. Wie sehr sich der Künstler der schönen Linie verpflichtet fühlte, zeigt eine Schau in Baden-Baden.
Verkürzt, verdoppelt und in die Länge gezogen. Die sieben Zerrspiegel an der blauen Wand könnten dem Besucher eine Warnung sein. Sigmar Polke hat sie einst von einem indischen Wanderzirkus erworben. Sie hängen gleich am Eingang der neuen Polke-Schau im Frieder Burda Museum in Baden-Baden – und künden vom Schalk des vor sieben Jahren gestorbenen Künstlers, der sein Publikum durch Experimentierfreude, Exzentrik und Witz in Bann zog.
Unter dem Titel „Alchemie und Arabeske“ stellt das Baden-Badener Museum ab Samstag (bis zum 21. Mai) anhand von rund 100 Exponaten aus eigenem Fundus und hochkarätigen Leihgaben die Vielfalt eines der bedeutendsten deutschen Künstler vor – und auch die Linien, die sein Werk durchziehen. Denn ob großformatige bunte Raster- und Stoffbilder, die zu seinem Markenzeichen wurden, oder weniger bekannte stille Werke: Es sind die Schnörkel, Schleifen und Ornamente, die immer wieder über unterschiedlichste Bildgründe schweben.
In den 1960er Jahren erscheinen sie noch als kaum sichtbare blassgelbe Striche im stillen Triptychon oder als Handlinien auf Lurex-Untergrund. Scheinbar dechiffriert sind sie in den Dürer-Hasen-Bildern, ornamental kommen sie aus dem bunten Matratzenstoff seines riesigen „Hollywood“-Bildes und geheimnisvoll in den Ranken- und Schleifenbildern der 1980er Jahre. Aus wilden Farbverläufen und scheinbar chaotischen Bildgründen lugen Landschaften, verwunschene Schlösser oder Schnörkelgesichter hervor.
Nichts ist so, wie es auf den ersten Blick scheint. Erst recht nicht der Untergrund. Mineralische Zusätze reagieren auf klimatische Veränderungen. Was auf der einen Seite klar scheint, ist aus einem anderen Blickwinkel nicht wiederzuerkennen.
Vieles bleibt im Fluss oder löst sich in Rauch auf. „Dahinter steckt das fortwährende Bemühen, dem Bild seine Ein-Deutigkeit zu entziehen“, sagt Kurator Helmut Friedel. Und auch die Lust auf kleine und größere Gemeinheiten. „Ein Bild an und für sich ist schon eine Gemeinheit“, sagte Polke einmal.
Für eine solche Wirkung mutierte der Künstler schon mal zum Alchemisten: Er experimentierte mit Materialien wie Meteoritenstaub, giftigen Farben, Schneckensaft und Gold.
Einige Kostproben davon sind nun erstmals in Deutschland zu sehen: So goss er 1991 in den USA Asphaltritzen mit geschmolzenem Gold aus. Gleich uraltem Geschmeide und Grabbeilagen hängen diese Relikte nun im Museum Frieder Burda von der Decke.
Neben Gold, das er mikroskopisch untersuchte und fotografierte, hatte es Polke Uran angetan: Seine Versuche damit in den 1980er Jahren sind in der Schau genauso zu besichtigen wie ein Uranglas-Service aus seinem Besitz, das in der Schwarzlicht-Vitrine grün leuchtet.
Seine Faszination für die gefährlichen Stoffe erklärte Polke in einem Interview einmal so: „Gift hat eine Auswirkung. Kunst hat keine.“ Wenn er sich da mal nicht irrte.
Der in Schlesien geborene Künstler, der im Alter von 69 Jahren in Köln an Krebs starb, pfiff zwar auf den Kunstbetrieb und vergrätzte mit seinen Provokationen manchen Sammler. Er wurde gleichwohl im Laufe seines Lebens mit Auszeichnungen überhäuft. Seine Werke erzielen auf dem Kunstmarkt Millionenpreise.