Tauberbischofsheim/Lauda/Wertheim (feu) Er ist ein Autor der Widersprüche: Georg Büchner versuchte, auf die gesellschaftlichen Veränderungen seiner Zeit direkt einzuwirken, und blieb ohne Erfolg. Er hinterließ ein verhältnismäßig kleines Gesamtwerk, dennoch beeinflusste er die Literatur des 20. Jahrhunderts entscheidend. Keiner seiner literarischen Texte ist zweifelsfrei und gesichert überliefert, aber sie gehören zu den großen Werken der deutschen Literatur. Ein Einblick in die Werke und Gedanken Georg Büchners gab das Theaterstück „Büchner. Die Welt. Ein Riss.“, mit dem das Karlsruher Klassenzimmertheater „THEATERmobileSPIELE“ am Matthias-Grünewald-Gymnasium, am Martin-Schleyer-Gymnasium und am Dietrich-Bonhoeffer-Gymnasium gastierte.
Fragmentarisierte Auszüge aus Briefen und Passagen aus Büchners Werken bildeten die Grundlage des Stückes. Miteinander korrespondierend und kommunizierend gegen- und nebeneinandergestellt, entstand eine vielschichtige theatrale Textur ohne narrativen Handlungsstrang.
Ein roter Faden war dennoch zu erkennen, nein zu erleben, saßen die Schüler doch nur wenige Meter von einem äußerst intensiv agierenden Norman Nowotko entfernt. Die intime Spielsituation ermöglichte es, den geistig-emotionalen Horizont Büchners auszuloten und ihn für die Schüler sinnlich erfahrbar zu machen.
Gesellschaftliche Verwerfungen und ihre philosophischen Implikationen sind es, die Büchner zeit seines Lebens beschäftigten. Als „Riss“ tauchen diese Friktionen bei Regisseur Thorsten Kreilos immer wieder auf, sie sind konstitutives Element seiner Theatercollage. So ist die Verhaftung seines Freundes und Kampfgefährten Minnigerode für Büchner ein traumatisches Erlebnis. Nach diesem Trauma ist die Welt eine andere. Als Emigrant und Immigrant führt Büchner ein Leben zwischen In-Land und Aus-Land.
Ein Riss geht auch durch Büchners Arbeit. Die äußere Welt ist gekennzeichnet durch die Arbeit an der Karriere, die innere leidet an der gesellschaftlichen Ungleichheit. Schmerzlich schaut Büchner den Riss zwischen bürgerlicher und sozialer Revolution, die Kluft zwischen Arm und Reich.
Durch den Riss dringt Büchners Wort. Es spricht aus Werken wie „Dantons Tod“, „Woyzeck“ oder „Leonce und Lena“. Es zielt auf Anteilnahme, auf Verstehen. Davon war auch die Inszenierung des Klassenzimmertheaters geprägt. Es ging nicht darum, ein Urteil zu fällen, schon gar nicht einen Schuldspruch. Die Theaterarbeit wollte intonieren, was in Büchners Schreiben allgemein-menschliche Themen sind, und den Bezug zu heute anklingen lassen. Auch und gerade weil Büchners Weltsicht pessimistisch ist.
Für ihn ist die Welt in Unordnung, und zwar so total, dass es überhaupt keinen, zumal keinen transzendenten Punkt des Heils und der Heilung gibt. So zeigt Danton alle Merkmale eines radikalen Nihilismus – den rationalen Vorbehalt gegenüber jedem Wertsystem, die Leugnung eines antropomorphen Gottesbegriffs und die kategorische Ablehnung jedes „Sinns“: „Die Welt ist das Chaos, das Nichts ist der zu gebärende Weltgott.“
Das konkrete Leiden in dieser schlechten Welt und seine gesellschaftlichen Ursachen prangert Büchner im „Hessischen Landboten“ an, im „Woyzeck“ stellt er es dem Zuschauer buchstäblich vor die Augen. Die Umstände seines Leidens zu erkennen ist Woyzeck unfähig. Die Aufführung des Klassenzimmertheaters hat es den Schülern möglich gemacht.
„Ausgangspunkt der Inszenierung war es, Fragen aufzuwerfen und Räume zu öffnen – jenseits germanistischer Debatten“, so Regisseur Thorsten Kreilos im anschließenden Gespräch. Er habe keinen narrativen Handlungsstrang entwickeln wollen. Vielmehr sei es ihm darum gegangen, ein theatrales Gedicht auf die Bühne zu bringen, das die thematischen Fixsterne in Büchners Kosmos in dichter Form erfahrbar mache. Ausführlich nutzten die Schüler die Gelegenheit, mit dem Regisseur und Schauspieler Norman Nowotko über Darstellung, Bühnenbild, Kostüme und Interpretationsansätze zu diskutieren. Schnell wurde deutlich, dass es dem Klassenzimmertheater offensichtlich gelungen war, mit Phantasie einen fiktionalen Raum entstehen zu lassen und damit den Schülern eine neue Sichtweise auf einen scheinbar bekannten Autor zu ermöglichen.