Kapitalismuskritik und griechisches Schuldendrama: Sorgen um die Zukunft des globalen Wirtschafts- und Finanzsystems haben am Donnerstag den Evangelischen Kirchentag geprägt.

Die Theologin Margot Käßmann kritisierte in Stuttgart die Profitgier in Teilen der Wirtschaft und rief zu Protest dagegen auf. „Wir können uns nicht ständig als Ausgelieferte in einem anonymen System betrachten“, sagte sie in einer voll besetzten Halle vor tausenden Zuhörern. „Wir sollten genau hinsehen und hinhören, selbst Verantwortung übernehmen und diejenigen zur Rechenschaft ziehen, die für Fehlentwicklung und Unrecht verantwortlich sind, sich bereichern, handeln und entscheiden, was nicht der Zukunft dient.“

Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble sprach sich gegen einen Schuldenerlass für des Euro-Krisenland Griechenland aus. Schuldenschnitte bedeuteten auch eine Enteignung der Sparer, sagte der CDU-Politiker, mit rotem Kirchentagsschal um den Hals, bei einer Bibelarbeit. Denn „mit dem Schuldenerlass sind die Forderungen auch weg, das eine geht mit dem anderen zusammen“.

Bundespräsident Joachim Gauck - ehemaliger Pastor - widmete sich vor tausenden Zuschauern der Frage „Was kann Politik für unser Zusammenleben tun?“ Er war bereits am Mittwochabend zur Eröffnung des Kirchentages nach Stuttgart gekommen, bei dem bis Sonntag mehr als 100 000 Teilnehmer gemeinsam diskutieren, feiern und beten.

Auch Käßmann ging auf den Schuldenstreit mit Athen ein: Einen Erlass von Schulden solle es auch für Staaten geben. „Das wäre mal eine Vision für Griechenland“, sagte die ehemalige Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD). Die Finanzkrise sei kein Schicksalschlag des Marktes gewesen, sondern Ergebnis von Spekulationen, an denen sich einige wenige bereichert hätten. „Aber gelernt haben wir aus vergangenen Krisen nicht.“

Erwartet wurde auch Friedensnobelpreisträger Kailash Satyarthi aus Indien. Er spricht über die Verantwortung von Unternehmen bei der Herstellung von Textilien. Immer wieder prangern Menschenrechtsorganisationen die Arbeitsbedingungen in dem Land an.

Rund 6000 evangelische Pietisten feierten an Fronleichnam ihren „Christustag“ in Stuttgart – erstmals auf dem Gelände und im Programm des Kirchentags. Die konservativen Christen legen die Bibel sehr streng aus und lehnen zum Beispiel homosexuelle Pfarrer ab.

Während des Glaubensfestes gibt es ein buntes Programm – mit politischen oder theologischen Debatten, Musik, Kabarett und Kunstaktionen. An vielen Veranstaltungsorten gab es am Donnerstag bei herrlichem Sommerwetter großen Andrang. In den U-Bahnen herrschte trotz großer Enge gute Stimmung, die Fahrer der Züge begrüßten sogar die Kirchentags-Besucher.