Von bestürzender Aktualität ist Joe Suttons Bühnenstück „Komplize“, das die Badische Landesbühne in einer Inszenierung von Carsten Ramm in der Tauberbischofsheimer Stadthalle aufführte. Nicht nur in Diktaturen werden Menschen als Staatsfeinde verfolgt, die menschenverachtende Foltermethoden publik machen. „Whistleblower“ wie Edward Snowdon, Annie Machon oder Wikileaks-Gründer Julian Assange deckten gegen alle Widerstände Skandale auf.
In dem 2009 in London uraufgeführten Politthriller geht es um die Veröffentlichung von geheimen Informationen aus dem Pentagon, die nach den Terroranschlägen vom 11. September Folterpraktiken wie das berüchtigte „Waterboarding“ belegen. Regisseur Ramm blendet diese Methode des simulierten Ertrinkens – ein Tuch über Mund und Nase wird ständig mit Wasser übergossen – mehrfach per Video ein. Zu sehen ist auch ein Fernsehinterview, in dem der bekannte Journalist und Pulitzer-Preisträger Benjamin Kritzer von einem geheimen Memorandum berichtet, nach dem wegen der Terrorgefahr nur noch solche Handlungen als Folter einzustufen sind, die zu Organstörungen führen. Dies ist ein klarer Verstoß gegen die Genfer Konvention, wonach weltweit ein Folterverbot ohne Einschränkungen gilt.
Vivien Prahl als Gastschauspielerin
Das knapp einstündige Stück erzählt das Drama eines Journalisten, der mit der geballten Staatsmacht konfrontiert wird, weil er geheime Informationen über die Folterpraxis der US-Regierung veröffentlichte. Wie ihm sein Anwalt und Freund Roger Cowan deutlich macht, droht ihm deshalb eine mehrjährige Freiheitsstrafe, wenn er seine geheime Quelle nicht preisgibt. René Laier gibt als Anwalt einen väterlichen Freund des Journalisten, für den die Offenlegung des Informanten alternativlos ist.
Im Dreipersonenstück verkörpert Vivien Prahl als Berliner Gastschauspielerin mit Verve die liebende Ehefrau, die mit größter Sorge registriert, wie sich die Schlinge um den Hals ihres Mannes zuzieht. Intensiv lässt Colin Hausberg die Zuhörer am inneren Konflikt des Benjamin Kritzer teilhaben, als dieser zu einer außergerichtlichen Anhörung geladen wird, zu der nicht einmal seinem Anwalt Cowan Zutritt gewährt wird. Einerseits ist der Schutz seiner Quelle für ihn selbstverständlich, um seine Glaubwürdigkeit und berufliche Existenzgrundlage nicht zu verlieren. Andererseits macht ihm sein Freund Roger klar, dass er als Komplize und Terrorverdächtiger mit einer Verurteilung wegen Landesverrats rechnen muss.
Misstrauen breitet sich aus
Sehr überzeugend wird in knappen Dialogen nicht nur die Bedrohung der Pressefreiheit, sondern auch das sich wie ein Buschbrand ausbreitende Misstrauen der Betroffenen untereinander herausgearbeitet. Was wissen die Behörden über den Fall, welche Rolle spielt eigentlich der anscheinend bestens im System vernetzte Anwalt? Ist ihnen nicht längst die Quelle bekannt, aus der Benjamin Kritzer die geheimen Informationen schöpfen konnte? So sehr Kritzer sein Gewissen plagt und ihm die Berufsehre am Herzen liegt: Ist es nicht völlig sinnlos, die berufliche – und familiäre – Existenz aufs Spiel zu setzen und zu schweigen?
Der Zuhörer bekommt von der Vernehmung des verunsicherten Journalisten nichts mit, ahnt aber schon den Ausgang: Kritzer verrät seine Quelle, eine Mitarbeiterin des CIA. Völlig am Boden zerstört tritt er seiner erleichterten Ehefrau und seinem Anwalt gegenüber, der dann gleich durchblicken lässt, dass er mit heiler Haut davonkommen wird und er selbst schon vor der Vernehmung mehr über die Vorgänge und den Ausgang des Verfahrens wusste, als der Journalist und seine Frau ahnten. Wie im Titel des Stücks angedeutet wird Kritzer letztlich zum Komplizen des Systems. Mit Blick auf die Türkei und andere Länder ist die im Stück thematisierte Bedrohung der Pressefreiheit von höchster Aktualität.
Einziger Kritikpunkt der vom Publikum mit starkem Beifall belohnten Aufführung: Das vom Anwalt verkündete „Happy End“ bezieht auch die Informantin des CIA ein, der „nur“ der Verlust des Arbeitsplatzes und der Pensionsansprüche, jedoch keine Verurteilung drohen soll.