Lauter Schwarzweißfotos sind es zunächst einmal, insgesamt mehr als fünfzig an der Zahl, die in der aktuellen Ausstellung des Kunstvereins im Engelsaal zu sehen sind, Fotos aus diversen urbanen Metropolen der Welt, die jeder kennt bzw. zu kennen glaubt: New York, Chicago, San Francisco, London, Paris, Madrid, Lissabon, München und Berlin, mit Motiven, die ebenfalls allbekannt sind: Manhattan, Brooklyn Bridge, die Golden Gate Bridge, das Wrigley Building in Chicago, Westminster Abbey und die Houses of Parliament und - last but not least- der gute alte Eiffelturm...
Bemerkenswert ist allerdings, was der Künstler, der international renommierte Fotograf Thomas Kellner aus dem vertrauten Anblick zu machen versteht: Man hat den Eindruck, dass da kein Stein auf dem anderen bleibt, keine Horizontale und Vertikale und kein rechter Winkel seinem Schicksal entgeht, in die Schief- und Schräglage gekippt, ins Spitze oder Stumpfe gezerrt zu werden.
Auch keine Fläche und keine Ansicht bleibt heil, sie werden aufgefächert und aufgespalten, im selben Foto aus unterschiedlichen Blickwinkeln und Perspektiven gesehen, so dass sie den Gesetzen einer fremden, außerirdischen Geometrie zu gehorchen scheinen.
Was auf diesen Fotos sieht, ist gewissermaßen zerstückelte, fragmentierte Architektur, die ihre konstruktiven Fesseln von sich geworfen hat, und nun nach einer unhörbaren, jedenfalls „schrägen“, frei synkopierten Musik regelrecht zu tanzen beginnt, dass es einem vom Hinschauen fast schwindelig wird...Und so als ob der Künstler seine -übrigens nicht digital sondern mit analoger Kamera aufgenommenen - Foto-Schöpfungen noch weiter fragmentieren, das handwerklich-manipulative Element noch extra hervorheben und dazu ihren sehr aufwendigen Enstehungsprozess dokumentieren wollte, sind sie aus mehreren übereinanderliegenden Reihen von säuberlich getrennten Einzelbildern von 35mmm Rollfilmen zusammengesetzt bzw. montiert, so dass sie erst im Blick des Betrachters zu einer surrealen Ganzheit verschmelzen.
Noch mehr Interessantes über die technischen Kniffe und die aufwendigen Vorarbeiten des 1966 in Bonn geborenen, jetzt in Siegen lebenden und arbeitenden Fotografen erfuhren die Vernissagegäste in einem Künstlergespräch mit Carola Mast vom Kunstverein, worin er auch über seine innere Motivation Auskunft gab.
Zuguterletzt hat auch Thomas Kellners Fotokunst ihre historischen Vorbilder: Wer etwas in Kunstgeschichte bewandert ist, dem werden natürlich sofort Picasso oder Braque in den Sinn kommen, die zu Beginn des letzten Jahrhunderts den Malstil des Kubismus ins Leben gerufen haben. Der einzigartigen visuellen Faszination dieser Ausstellung tut dies keinen Abbruch.
Die Ausstellung ist zu den üblichen Öffnungszeiten (Samstag 10.30 bis 12.30 Uhr, Sonntag von 14 bis 18 Uhr) noch bis einschließlich 28.Mai im Engelsaal zu sehen.