
Die Förderung erwachsener Analphabeten im Südwesten ist aus Sicht eines Experten mangelhaft. „Baden-Württemberg ist ein Schlusslicht“, sagte Stephan Gilles von der Mannheimer Abendakademie der Nachrichtenagentur dpa vor dem Weltalphabetisierungstag am Samstag.
Anders als im Ländle seien die Alphabetisierungskurse in Norddeutschland zum Beispiel kostenlos. Das sei wichtig, da viele der Betroffenen arbeitslos seien. „Mehr als jeder Zehnte der erwachsenen Deutschen ist Analphabet“, betonte Gilles. Auch im Südwesten gebe es nicht weniger Analphabeten. Das Ministerium weist darauf hin, dass die Förderung wegen der vielen verschiedenen Modelle kaum zu vergleichen sei.
Das Nord-Süd-Gefälle ist deutlich: 2010 kamen nach Angaben des Bundesverbands Alphabetisierung und Grundbildung in Berlin 98 Alphabetisierungskurse an den Volkshochschulen auf eine Million Einwohner. In Baden-Württemberg waren es gerade einmal 15,6 und im Bundesschnitt 36,9. Am Ende dieser Statistik steht Bayern mit 8,9 Kursen pro eine Million Menschen.
„Es kann doch nicht eine Frage des Geldbeutels sein, ob die Leute am Kurs teilnehmen können“, kritisierte Gilles. 150 Euro kosten zwei Monate Alphabetisierungskurs an der Mannheimer Abendakademie, der städtischen Volkshochschule. Für viele Betroffene sei das unbezahlbar. Nur in einigen Fällen übernehme das Arbeitsamt die Kosten. Er schicke niemanden weg und sei permanent auf der Suche nach Geldgebern. Von einer staatlichen Förderung mit kostenlosen Kursen wie in Norddeutschland kann er derzeit nur träumen. Für die Betroffenen wäre diese Möglichkeit jedoch essenziell. „Viele haben keine Arbeit“, so Gilles.
Derzeit gibt es laut Bundesverband Alphabetisierung rund 7,5 Millionen Erwachsene, die längere Texte nicht erfassen und schreiben können. Sie gelten als „funktionale Analphabeten“. Der Anteil derjenigen, die selbst einzelne Worte nicht lesen und schreiben können, liege bei rund 0,6 Prozent der Erwachsenen. Peter Hubertus vom Bundesverband bedauert Vorurteile, dass Analphabeten „dumm“ seien. „Man muss doch sehr clever sein, wenn man trotz solcher Schwierigkeiten durchs Leben kommt“, sagte er.
Um die Zahl der Analphabeten in Deutschland dauerhaft zu senken, braucht es seiner Ansicht nach neben geförderten Kursen auch eine gute Vorbeugung. „Die Grundschule hat da in den vergangenen 15 Jahren erhebliche Fortschritte gemacht“, sagte er. Jetzt müsse die individuelle Förderung auch an weiterführenden Schulen greifen. „Gerade bei schlechten Lesern passiert in der verbleibenden Schulzeit nicht mehr so viel“, bemängelt er.
Die Volkshochschule in Baden-Württemberg bietet nach eigenen Angaben pro Jahr rund 100 Alphabetisierungskurse mit etwa 800 Teilnehmern an. Der Bundesverband Alphabetisierung zählte für 2010 in der Volkshochschulstatistik 167 Kurse für den Südwesten. Optimal seien fünf bis acht Zeilnehmer je Kurs, teilte Fachreferentin Martina Haas vom Volkshochschulverband mit. Zuschüsse seien wichtig, weil die Betroffenen oft erst gefunden und angesprochen werden müssten – und ihnen dann häufig noch das notwendige Geld für den Kursus fehle. „Eine besondere öffentliche Förderung von Alphabetisierungskursen hat es bislang in Baden-Württemberg nicht gegeben“, sagte sie.
Das Kultusministerium macht klar, dass die Förderung der Länder für Alphabetisierungskurse schwer zu vergleichen sei, weil es viele verschieden Fördermodelle gebe. „Das Land Baden-Württemberg unterstützt Alphabetisierungskurse im Rahmen der Weiterbildungsförderung“, sagte eine Ministeriumssprecherin. In den vergangenen Monaten seien in diesem Landesprogramm rund 30 Projekte mit mehr als einer Million Fördersumme bewilligt worden. Neben Schulabbrechern und Migranten seien Analphabeten eine wichtige Zielgruppe.