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STUTTGART
Sonderschulpflicht soll abgeschafft werden
dpa
 |  aktualisiert: 24.02.2015 17:38 Uhr

Soll ein behindertes Kind auf eine Sonder- oder auf eine Regelschule gehen? In Baden-Württemberg bekommen die Eltern ein Wahlrecht. Doch alle Wünsche können absehbar nicht erfüllt werden.

Die grün-rote Landesregierung brachte am Dienstag in Stuttgart einen Gesetzentwurf auf den Weg, mit dem zum kommenden Schuljahr die Sonderschulpflicht abgeschafft wird. Eltern sollen künftig die Wahl haben, ob sie ihr behindertes Kind auf eine Sonderschule oder eine Regelschule schicken wollen. Ein Recht auf eine Wunschschule erhalten die Eltern allerdings nicht.

Die Kommunen als Schulträger heißen die Pläne grundsätzlich gut. Sie pochen aber darauf, dass das Land sämtliche Mehrkosten dauerhaft übernimmt.

„Das Kabinett hat eine der wichtigsten Reformen im Schulbereich beschlossen“, sagte Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne). „Unser Ziel ist eine Gesellschaft, in der es selbstverständlich ist, dass Menschen mit und ohne Behinderung zusammen leben.“

Mit der Schulgesetz-Änderung wird festgehalten, dass gemeinsamer Unterricht auch dann möglich ist, wenn behinderte Kinder das Bildungsziel absehbar nicht erreichen können. Sonderpädagogen sollen die Kinder und die Lehrer an den Regelschulen unterstützen. Geplant ist, dass die Kinder in Gruppen in „qualitativ hochwertigen Strukturen“ unterrichtet werden, wie Kultusminister Andreas Stoch (SPD) sagte.

Die kommunalen Landesverbände hatten sich dafür ausgesprochen, dass es diese sogenannte Inklusion nur an bestimmten Schwerpunktschulen geben soll. Dies lehnte die Regierung aber ab, weil sie grundsätzlich alle Schulen in der Pflicht sieht, sich mit dem Thema Inklusion zu beschäftigen.

Stoch erklärte, es solle versucht werden, gemeinsam mit der Schulverwaltung, den Schulträgern und den Eltern den jeweils richtigen Bildungsort für das Kind zu finden. Manche Elternwünsche seien aber nicht umsetzbar, weil es an der gewünschten Schule nicht die nötigen Voraussetzungen gebe. Stoch räumte ein, dass es damit de facto dann doch so etwas wie Schwerpunktschulen geben werde.

Zuvor hatte der Städtetag gemahnt, eine eindeutigere Definition des Elternwahlrechts im Gesetz aufzunehmen. Nur so könnten Enttäuschungen und Missverständnisse vermieden werden, die schlimmstenfalls in den Kommunen und deren Schulen eskalieren, sagte Städtetagsdezernent Norbert Brugger der Deutschen Presse-Agentur in Stuttgart.

Auch die FDP im Landtag forderte Nachbesserungen. „Wenn alle Beteiligten im Unklaren darüber sind, was ein gestärktes Elternwahlrecht konkret bedeutet, sind Unstimmigkeiten und Konflikte vor Ort vorprogrammiert – zu Lasten der Betroffenen und ihrer Eltern“, teilten Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke und Bildungspolitiker Timm Kern mit.

Vor einem Jahr hatte der Fall des geistig behinderten Jungen Henri aus Walldorf (Rhein-Neckar-Kreis) für Wirbel gesorgt. Stoch entschied damals nach monatelanger, kontroverser Diskussion, dass Henri nicht auf sein Wunsch-Gymnasium wechseln dar. Ein Gymnasium und auch eine Realschule hatten Henri abgelehnt, weil sie sich mit dieser Aufgabe überfordert sahen.

Deutschland hat sich aber verpflichtet, die 2006 von den Vereinten Nationen verabschiedete Behindertenrechtskonvention umzusetzen. Daraus leitet sich ab, dass behinderte Menschen nicht vom allgemeinen Bildungssystem ausgeschlossen sein dürfen.

Im Land besuchen mehr als 50 000 Schüler mit Behinderung Sonderschulen. Das Kultusministerium geht davon aus, das für die Umsetzung der Inklusion bis zum Schuljahr 2022/23 insgesamt 1350 neue Lehrerstellen nötig sind, die jährlich rund 97 Millionen Euro kosten. Finanziert werden diese Stellen aus dem Landeshaushalt.

Zudem übernimmt das Land im Endausbau bis zu 30 Millionen Euro im Schuljahr für Schulassistenten, Schülerbeförderung und Umbauten an den Schulen. Ein Knackpunkt bleiben jedoch die Kosten für die Schulassistenten. Die will das Land bislang nur freiwillig erstatten. Die Kommunen sehen hier aber eine Pflicht des Landes, sie dauerhaft zu übernehmen.

 
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